Todesfracht
Awatschinski im Jahr 1945 bestand. Daher zeichnete sich die Viertelmillionenstadt durch eine triste Einförmigkeit aus, die sogar über ihre klotzige sowjetische Architektur hinausging. Die Straßen waren seit Jahrzehnten nicht mehr frisch gepflastert worden, und die Wirtschaft lag in Trümmern, weil sich das Militär, das die Stadt einst unterstützt hatte, weitgehend zurückgezogen hatte. Umgeben von hoch aufragenden schneebedeckten Gipfeln am Ende der idyllischen Awatschabucht, war PK ein bedrückender Schandfleck von einem Ort, in dem seine Bewohner nur ausharrten, weil es ihnen an Bereitschaft zu Veränderungen mangelte.
Die gesamte Halbinsel Kamtschatka war einst vom sowjetischen Militär kontrolliert worden. Leistungsfähige Radarstationen verteilten sich über die teils unwegsame Landschaft, um Ausschau nach amerikanischen ICBMs zu halten. Es gab mehrere Luftwaffenstützpunkte, um amerikanische Bomber abzufangen – die Halbinsel war die Heimat der pazifischen U-Boot-Flotte. Kamtschatka diente zudem seit Langem als Landeplatz für im Westen des Landes gestartete ballistische Raketen. Gegenwärtig rosteten die U-Boote der Pazifikflotte in der Marinebasis Ribatschi am südlichen Ende der Awatschabucht vor sich hin. Mehrere waren bereits derart verrottet, dass sie an ihren Liegeplätzen gesunken waren, allerdings mit immer noch geladenen Torpedorohren und betriebsbereiten Atomreaktoren. Die Radarstationen waren aufgegeben und verlassen worden, und die Flugzeuge saßen in der Luftwaffenbasis am Boden fest: wegen fehlender Ersatzteile und zur Neige gegangenen Flugzeugtreibstoffs. Während des Rückzugs des Militärs waren zahllose Landschaftsflächen derart vergiftet zurückgelassen worden, dass sogar nur ein kurzer ungeschützter Aufenthalt auf ihnen schwere Erkrankungen auslösen konnte.
Es war nicht die militärische Präsenz gewesen, die Anton Savich vor mehr als zwanzig Jahren nach Kamtschatka gelockt hatte. Es war die Geologie. Kamtschatka war vor einer halben Million Jahren aus dem Meer aufgestiegen, und zwar als vulkanischer Archipel, vergleichbar mit den Aleuten vor Alaska. Das Meer schliff diese Berge sehr schnell ab, doch das Land stieg wieder an, hochgedrückt von unerschöpflichen Massen flüssigen Gesteins tief im Erdinneren. Kamtschatka war ein Bogen im Feuerring, einem weiten Kreis von Vulkanen und Erdbebenzonen, die die Grenzen der riesigen pazifischen tektonischen Platte kennzeichnen. Neunundzwanzig von den mehr als hundertfünfzig Vulkanen auf der Halbinsel waren aktiv, und unter ihnen vor allem der Karimski, der seit 1996 ständige Eruptionen zu verzeichnen hatte. Und nun hatte ein bislang noch namenloser Vulkan in der Mitte der Halbinsel begonnen, Asche- und Dampfwolken auszustoßen.
Aufgrund wirtschaftlicher Engpässe in den achtziger Jahren startete die Sowjetunion ein Forschungs- und Bergbauprogramm. Um sich gegenüber Reagans beispielloser militärischer Aufrüstung zu behaupten, suchten die Sowjets verzweifelt Rohstoffquellen, um den zunehmenden Bedarf ihrer eigenen Waffenindustrie befriedigen zu können. Dies waren die letzten Schlachten des Kalten Krieges, ausgefochten nicht mit Patronen und Bomben, sondern mit Fabriken und Ressourcen. Es war eine Auseinandersetzung, bei der die Sowjetunion letztlich den Kürzeren zog. Jedoch wurden im Zuge dieses wirtschaftlichen Duells riesige Reserven an Steinkohle, Eisenerz und Uran entdeckt.
Anton Savich war damals ein junger Forscher im staatlichen Büro für Bodenschätze gewesen. Dies war eine vom Zentralkomitee geschaffene Abteilung, die die in russischer Erde schlummernden Reichtümer erschließen sollte. Er war 1986 auf die Halbinsel Kamtschatka gekommen, um zusammen mit zwei Kollegen und unter der Führung eines Geologieprofessors der Moskauer Universität, Akademik Yuri Strakhov, seine Arbeit aufzunehmen.
Das Team verbrachte vier Monate damit, die Halbinsel mit Helikoptern und Geländefahrzeugen abzusuchen, die von der Roten Armee zur Verfügung gestellt worden waren. Aufgrund der lebhaften vulkanischen Aktivität war man zu der Annahme gekommen, auf Kamtschatka mit Diamantenvorkommen rechnen zu können, obwohl sie keinerlei mineralische Spuren fanden, die Moskaus Vermutung bestätigten. Was sie stattdessen fanden, war mindestens ebenso wertvoll.
Savich erinnerte sich an die Zeit, die sie am Fuß des Flözes verbracht hatten. Tagsüber hatten sie Proben gesammelt und nachts von den Möglichkeiten geträumt, die sich aus ihrem Fund
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