Todesfrauen
Sina auf. »Wozu sollte dann der ganze Aufwand nötig sein? Wenn die unseren Tod wollten, hätten sie abdrücken können, als sie uns aufgegriffen haben. Oder in irgendein dunkles Loch werfen können. Stattdessen setzen sie uns in einen speziellen Raum, der ganz bestimmt nicht billig war. Sie treiben einen Aufwand, der eigentlich nur den Schluss zulässt, dass sie mit uns noch einiges vorhaben.«
»Aber was, zum Kuckuck?«, blaffte Gabriele. »Merkst du nicht, dass wir uns im Kreis drehen mit unseren Vermutungen? Wahrscheinlich sind diese Männer ganz einfach nur Sadisten, die sich einen Spaß daraus machen, uns hier drin zu beobachten, bis wir durchdrehen. Und danach erschießen sie uns trotzdem!«
Sina wollte widersprechen, doch ihr mangelte es an stichhaltigen Gegenargumenten. Gabriele hatte recht: Sie konnten ihre Situation in jede beliebige Richtung interpretieren und waren danach nicht schlauer als zuvor. Ihnen blieb nichts anderes übrig, als abzuwarten und sich ihrer Bestimmung zu ergeben.
Sinas Magen brummte erneut, dabei fing sie Gabrieles skeptischen Blick auf, als es plötzlich dunkel wurde. Die Deckenleuchte war mit einem Mal erloschen, der Raum lag nun in vollständiger Dunkelheit.
»Verflucht! Was soll denn das?«, wetterte Gabriele.
»Ich weiß es nicht. Ich habe vorhin schon überall geguckt: Es gibt keinen Schalter. Das Licht muss jemand von außen abgestellt haben.«
»Schöne Bescherung!«
»Kann man wohl sagen – was machen wir denn jetzt?«
»Wie wäre es mit schlafen?«, schlug Gabriele vor.
»Schlafen? Etwa auf dem Fußboden?«
»Was dagegen? Du bist schließlich ein junger Hüpfer und das Nächtigen auf dünnen Isomatten gewohnt. Ein großer Unterschied ist es sicher nicht.«
Doch Sina mochte sich mit dieser Vorstellung nicht anfreunden. »Ich kann hier nicht schlafen. Außerdem muss ich pinkeln.«
»Ach, Kind, auch das noch. Kannst du nicht noch ein wenig aushalten?«
»Ich halte schon seit Stunden aus.«
»Dann hock dich in die Ecke. Aber bitte in die tiefer gelegene.«
Sina trollte sich schweigend und tastete sich durch die nachtschwarze Dunkelheit.
Sie wurde wach durch das grelle Aufflackern der Deckenlampe und ein gleichzeitig einsetzendes Poltern. Blitzschnell setzte sich Sina auf und erkannte den Iren im Türrahmen. Er trug eine Verletzung auf der Stirn und schien leicht zu humpeln. Doch das tat seiner Gefährlichkeit keinen Abbruch. Ihr stockte der Atem, bis sie das Tablett auf seinen Händen sah. Es war beladen mit einem reichhaltigen Frühstück. Eine Kanne Kaffee verströmte einen verheißungsvollen Duft.
Der Ire stellte das Tablett auf den Tisch und schob einen schmalen Holzkeil darunter, womit er den schrägen Winkel ausglich. Sina beobachtete sein Handeln voller Argwohn, während ihr Körper gleichzeitig einen ungeheuren Appetit entwickelte. Ehe sie eine Frage formulieren konnte, die sie dem Iren stellen wollte, hatte dieser den Raum verlassen und die Tür hinter sich geschlossen.
Gabriele hatte von all dem nichts mitbekommen, sondern schlummerte in unbequemer Lage auf dem Linoleum. Sina musste sie erst wachrütteln, bevor sie ihr von den Neuigkeiten berichten konnte.
Beide verschwendeten keine Gedanken daran, ob das Frühstück mit Betäubungsmittel oder gar Gift versetzt sein könnte, sondern langten mit Heißhunger zu. Sie genossen die knusprigen Brötchen, die sie dick mit Butter bestrichen und noch mehr Marmelade auftrugen. Den Kaffee tranken sie bis auf den letzten Tropfen aus.
Ausgeschlafen und gestärkt fühlten sie sich weitaus wohler als am Abend zuvor. Hinzu kam die neu gewonnene Zuversicht: Das Frühstück interpretierten beide als ein Zeichen dafür, dass man sie am Leben halten wollte. Das wiederum musste einen triftigen Grund haben, überlegte Gabriele. Ihre Peiniger erwarteten offenbar etwas von ihnen. Eine Gegenleistung. Aber wie sollte diese aussehen?
Während sie noch immer den aromatischen Kaffeegeschmack auf den Lippen schmeckte, hatte Gabriele einen Einfall. Es handelte sich um eine fixe Idee, die ihr aber Erfolg versprechend erschien, wenn sie nur glaubhaft genug umgesetzt wurde. Eilig zog sie Sina ins Vertrauen und erklärte: »Wenn der Ire das nächste Mal auftaucht, sagen wir ihm, dass wir seinen Chef sprechen wollen.«
»Was haben wir davon?« Sina war anzusehen, dass sie das für keinen guten Einfall hielt.
»Wir schlagen dem Chef der Bande einen Deal vor: Unsere Freiheit gegen die Information, die sie von uns haben
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