Todesfrauen
Bundeswehr erinnert und an die zwiespältigen Erfahrungen seiner Jahre als Zeitsoldat, die er bei den Heeresfliegern in Roth absolviert hatte, bevor er zur Polizei wechselte. Im offenen Jeep-Geländewagen fuhren sie durch das unwegsame Terrain des Übungsplatzes. Curtis hatte ihm den Sitz neben dem Fahrer überlassen, während er selbst auf der schmalen Rückbank Platz genommen hatte.
Zu Diehls Verwunderung war Curtis ohne Umschweife auf seinen vorwitzigen Vorschlag eingegangen und hatte einen spontanen Exkurs in den Sperrbezirk der Special Forces eingeleitet. Der Weg dorthin führte sie durch eine beeindruckende Naturlandschaft, die sich Diehl im Vorbeifahren durch intensive Grüntöne, weite Wiesen und Waldgebiete in unberührtem Zustand einprägten. Die strikte Aussperrung der Zivilisation gereichte der Natur zum Vorschub – wenigstens oberflächlich betrachtet. Denn Diehl wusste durchaus um die unberechenbaren Spätfolgen von Munitionsrückständen, darunter sogar strahlende Substanzen aus uranummantelten, panzerbrechenden Geschossen.
Die Special Forces bereiteten ihnen schon allein deshalb keine Schwierigkeiten, weil sie nicht anwesend waren. Diehl war ebenso überrascht wie offensichtlich auch Curtis, als am Schlagbaum an der einzigen verbliebenen Straße nach Frankenohe nur ein gewöhnlicher Wachsoldat stand, der brav salutierte und die Schranke öffnete.
»It’s closed«, sagte dieser noch und stand stramm. Damit meinte er nicht, dass der Sektor geschlossen sei, sondern dass lediglich die Special Forces den Bereich geräumt hätten.
Curtis gab sich verwundert, machte Diehl aber auf die Vorteile dieses Umstands aufmerksam: »Wir können uns – wie sagten Sie? – umschauen. Alles auf den Kopf stellen in dem alten Dorf, wenn Sie wollen.«
»Ja«, sagte Diehl reichlich verwirrt angesichts dieses großzügigen Entgegenkommens. Und doch war ihm schon in diesem Moment bewusst, dass sie nichts finden würden.
Das Dorf lag erstaunlich gut erhalten vor ihnen. Erwartungsgemäß waren zwar die Fassaden vergammelt und einige Dächer eingestürzt. Aber insgesamt blieb die Dorfstruktur gut erkennbar. Diehl überlegte, in welchem Gebäude sie mit der Suche beginnen sollten.
Aufs Geratewohl sah er sich zunächst die Kirche an, deren Turmspitze fehlte und deren verbleibender Rumpf eine bedenkliche Schieflage angenommen hatte. Das Portal war verrammelt, bereitete jedoch den Männern dank mitgeführter Brechstange keine große Mühe, die Bretter beiseitezuschieben. Diehl setzte einen Fuß in das Gotteshaus, nahm die moderig feuchte Luft auf und begutachtete skeptisch die angeschlagenen Pfeiler und das fragile Gewölbe über ihren Köpfen. Aus dem Putz, Mörtel und den vereinzelten Balken, die auf dem Boden lagen, zog Diehl Rückschlüsse auf den baulichen Zustand der Kirche. Hier hielten sich die Gesuchten ganz bestimmt nicht auf, es sei denn, sie waren lebensmüde.
»Also weiter«, entschied Diehl und zeigte auf ein Gasthaus, das gleich gegenüber lag. Auch dieses Gebäude sah einsturzgefährdet aus, doch Diehl wollte nichts unversucht lassen und wenigstens einen kurzen Blick hineinwerfen. Abermals mussten sie zunächst Bretter und Balken aus dem Weg räumen, um ins Innere zu gelangen. Ähnlich, wie es bei der Kirche gewesen war, fehlte hier sämtliches Mobiliar. Die ehemaligen Bewohner hatten bei der Räumung alles mitgenommen, was nicht niet- und nagelfest gewesen war. Auch in diesem Gebäude lagen Schutt und Trümmer über den Boden verstreut. Diehl wagte es nicht, weiter als einen Meter tief in das Gasthaus vorzudringen.
Auf diese Weise klapperten sie die übrigen Häuser der kleinen Siedlung ab. Keines machte den Eindruck, als könnte man sich hineintrauen, ohne Angst haben zu müssen, unter einer einbrechenden Decke begraben zu werden.
Reichlich enttäuscht wandte sich Diehl zuletzt einer Stallung zu, die etwas abseits der Wohngebäude lag. Es handelte sich um ein Bauernhaus mit angeschlossenem Kuhstall: ein windschiefer Verschlag, dessen Gebälk bei jedem Windstoß ächzte, aber ansonsten einigermaßen in Schuss war.
»Warten Sie, ich mache Licht.« Curtis ließ den Strahl einer Stabtaschenlampe durch den Stall gleiten. Wieder nur klägliche Überreste der früheren Ausstattung, altes Heu und Spinnweben, lang wie Gardinen.
»Ein geeigneter Unterschlupf«, meinte Diehl, dessen Instinkt Alarm schlug.
»Right«, sagte Curtis. »Ein guter Platz, um vor Wind, Wetter und Wachsoldaten Schutz zu finden. – Aber
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