Todesfrauen
die dritte starke Antriebskraft für ein Verbrechen: Rache.«
Sina nickte. »Ist es nicht irrwitzig? Der ganze Aufwand, das Geld und die Mühen. Die Bereitschaft, über Leichen zu gehen, im wahrsten Sinne des Wortes. Und all das nur, um Genugtuung zu erlangen?«
Gabriele lächelte schief. »Genugtuung, meine Kleine, kann eine enorme Triebkraft sein. Zumal, wenn sie von einem Mann ausgeht, der bereits alles erreicht hatte in seinem Leben und dann vom eigenen Volk verraten und schmählich vom Thron gestoßen wurde. So jedenfalls sieht er es.«
»Ich kann es immer noch nicht fassen, mit wem wir es zu tun haben.« Sina schüttelte es bei diesem Gedanken. »Ich meine: Immerhin hat dieser Mann das höchste Amt auf diesem Planeten bekleidet. Er war quasi allmächtig.«
»Nicht nur auf diesem Planeten.« Gabriele wirkte für den Moment erheitert. »Vergiss nicht: Er war es auch, der die ersten Menschen auf den Mond geschickt hat.«
»Ja, und nun hat er sich ausgerechnet uns gegenüber offenbart. Er hat seine Maske fallen lassen, seine Beweggründe offengelegt.«
»Aber nur im Gegenzug dafür, dass wir uns als Agentinnen des BND zu erkennen gegeben haben.«
»Was eine Lüge ist«, flüsterte Sina und schloss mit bangem Blick an: »Ist dir klar, was es bedeutet, dass dieser Mann seine Tarnung uns gegenüber fallen gelassen hat?«
»Nun, ja, ich denke, dass er auf diese Weise mit uns ins Geschäft kommen möchte.«
»Unsinn!« Sina starrte Gabriele intensiv an. »Vergiss deine Geschäfte! Alles, was der alte Mann wollte, war, uns auszuloten. Er wollte wissen, ob wir ihm gefährlich werden könnten. Er dürfte ziemlich schnell zu der Überzeugung gelangen, dass dies nicht der Fall ist. Und dann …«
»Und dann?«
»Dann sind wir tot. Schneller, als wir bis drei zählen können.«
Der Polizeikommissaranwärter kam völlig abgehetzt vom Botengang aus dem Labor zurück: Harrys Gesichtsfarbe war aschfahl, als er seinem Chef das Ergebnis der Blutuntersuchung auf den Schreibtisch legte. Diehl schloss daraus, dass die Blutspuren auf einen weiblichen Ursprung zurückverfolgt worden waren und Harry aus Angst vor der Reaktion seines Chefs so blass war.
Doch das Ergebnis führte eindeutig auf, dass das Blut eines Mannes auf dem Strohballen vergossen wurde. Diehl atmete auf, da er nun wenigstens wusste, dass nicht Gabriele oder Sina in der Scheune verletzt oder getötet worden waren. Allerdings fragte er sich, weshalb Harry so mitgenommen aussah?
»Chef«, sagte dieser unaufgefordert, »unten im Labor ist die Hölle los. Da sind Leute vom Gesundheitsamt und machen alles dicht.«
»Wie? Was? Gesundheitsamt?« Diehl verstand nur Bahnhof.
»Viel habe ich nicht mitbekommen«, erklärte Harry. »Sie sind alle furchtbar aufgeregt da unten. Es muss sich irgendein Infekt ausgebreitet haben. Ich habe keine Ahnung von diesen Dingen, aber es muss etwas Ernstes sein. Da laufen Ärzte in weißen Overalls rum, die denen von unserer Spurensicherung in nichts nachstehen. Inklusive Mundschutz!«
Diehl dachte sofort an die Worte der Kollegin aus dem Labor, die ihm etwas über einen Virenfund in den Strohspuren mitgeteilt hatte. Aber was, um Himmels willen, sollte das bedeuten? Unverzüglich griff er zum Telefon und wählte das Labor an.
Gabriele gab sich redlich Mühe, die Logik in den Worten ihrer Freundin zu knacken, zu brechen oder zumindest zu durchweichen. Denn wenn sie wirklich nur auf ihren potenziellen Gefährdungsgrad hin überprüft worden waren und in Kürze ihrer Exekution entgegensehen sollten, dann war dies ein unerträglicher Gedanke.
Während das Frühstück aufgetragen wurde, ergriff Gabriele daher die Gelegenheit beim Schopf und traktierte den Wachmann mit Fragen: »Wann kommen wir hier raus? Können wir noch einmal mit Ihrem Chef sprechen? Sagen Sie ihm, wir sind jetzt bereit, mehr über unseren Auftrag zu verraten! Auch ohne Ihr Wahrheitsserum!«
Sina lächelte nur müde, als ihr Aufpasser wortlos den Raum verlassen hatte. »Gib dir keine Mühe«, sagte sie matt. »Mit uns ist es vorbei.« Sie deutete auf das dampfende Rührei. »Vielleicht ist das schon unsere Henkersmahlzeit – versetzt mit Rattengift.«
»Sina!« Gabriele baute sich vor ihrer Freundin auf. »Sei nicht so unerträglich fatalistisch. Noch ist die Schlacht nicht verloren.«
»Nicht verloren? Dass ich nicht lache! Sollen wir zwei Mädels allein in den Krieg gegen eine Großmacht ziehen?«
Gabriele tippte sich mit dem Finger auf die Lippen.
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