Todesfrauen
hier ist niemand.« Demonstrativ leuchtete er jeden Winkel des Stalls aus. Damit schreckte er einen Schwarm Fledermäuse auf, die aufstoben und wild flatternd die Flucht ergriffen. Die Männer zogen die Köpfe ein und entschieden sich, die Scheune wieder zu verlassen.
»Warten Sie«, forderte Diehl den anderen auf, als der Taschenlampenstrahl über einen Heuhaufen nahe der Stalltür huschte. Diehl bückte sich und sah sich die Stelle genauer an. »Das Stroh ist eingedrückt, als hätte vor Kurzem etwas darauf gelegen.« Er schob die Halme vorsichtig auseinander und tastete den Boden ab. »Seltsam«, sagte er dann. »Es fühlt sich an manchen Stellen feucht an.«
Curtis deutete auf das im Wind ächzende Dach. »Das wird der Regen gewesen sein. Das Dach ist nicht dicht. Und wahrscheinlich der Kot der Fledermäuse.«
»Wahrscheinlich«, meinte Diehl und erhob sich.
Wenig später beendeten sie ihre Suchaktion in Frankenohe. Curtis, hilfsbereit und zuvorkommend bis zuletzt, brachte Diehl zurück bis zu dessen Auto und drückte ihm die Daumen für die weitere Fahndung nach den Vermissten. Er musste davon ausgehen, dass sich der deutsche Kommissar mit leeren Händen vom Truppenübungsplatz verabschiedete.
Doch damit hatte er sich getäuscht. Diehls linke Jackentasche war gefüllt – mit feuchtem Stroh.
25
Er konnte kaum Schlaf finden in dieser Nacht. Alle halbe Stunde wachte Diehl auf, wälzte sich in seinem Bett, sah auf die Uhr und zwang sich, erneut einzuschlafen. Gegen 5 Uhr in der Früh gab er endgültig auf, zog sich seinen Morgenmantel über und machte sich einen starken Kaffee.
Kurz nach halb sechs kam die Tageszeitung, mit der er sich die restliche Zeit vertrieb, bis er sich wusch, anzog und zum Präsidium am Jakobsplatz fuhr.
Sein Kommissaranwärter war noch nicht im Büro, und so übernahm es Diehl selbst, mit dem Polizeilabor zu telefonieren. Sie könne nicht hexen, knallte ihm eine energisch klingende Kollegin an den Kopf, als er sich nach den Resultaten der Untersuchungen seiner Strohprobe erkundigte.
»Sie haben uns das Zeug erst gestern Abend vorbeigebracht. Was erwarten Sie von uns?«, fragte sie mit unverhohlenem Vorwurf in der Stimme.
»Ergebnisse!«, antwortete Diehl patzig. »Es geht um Menschenleben. Die Sache ist brandeilig.«
»Brandeilig ist in diesem Haus grundsätzlich alles. Also stellen Sie sich gefälligst hinten an.«
»Junge Frau: Wissen Sie, mit wem Sie sprechen?«
»Danke für das Kompliment, Herr Kollege Kripochef. Aber Sie wissen verdammt gut, dass ich genauso alt bin wie Sie.«
»Ich bitte Sie! Können Sie nicht wenigstens einen Anhaltspunkt geben, worum es sich bei der Flüssigkeit handelt. Ist es wirklich nur Regenwasser? Aber woher stammt dann die rötliche Verfärbung? Vom Rost oder Tierkot?«
Sie seufzte. »Gedulden Sie sich, dann bekommen Sie Ihre Fakten. Aber eines kann ich Ihnen schon jetzt sagen. Es handelt sich um Wasser mit geringen Anteilen von Blut. Menschenblut.«
»Oh, verdammt«, stieß Diehl aus.
»Wir analysieren es gerade. In einer Stunde wissen wir, ob es von Männlein oder Weiblein stammt. Eine Kleinigkeit. Was uns größeres Kopfzerbrechen bereitet, sind die anderen Spuren, die wir in dem Stroh gefunden haben.«
»Was denn für andere Spuren?«, fragte Diehl überrascht und verwirrt zugleich.
»Eine eigentümliche Virenpopulation«, antwortete seine Gesprächspartnerin verhalten. »Es ist etwas seltsam und ungewöhnlich. Wir wissen selbst noch nicht, womit wir es zu tun haben.«
Was Sina stärker als die rein äußerlichen Umstände ihrer Gefangenschaft zermürbte, waren ihre Vorstellungen davon, wie ihre Zukunft aussah. Während sie eine Stelle nahe der abschüssigen Wand auswählte, um sich eine Liegeposition für die nächste Nacht zu suchen, lösten sich die letzten Reste ihrer Zuversicht in Luft auf. Hatte sie sich noch bis vor Kurzem an den Strohhalm geklammert, dass die Fremden sie am Leben hielten und mit ihnen sprachen, weil sie sie aus unerfindlichen Gründen für wichtig hielten, kam ihr nun eine ganz andere Möglichkeit in den Sinn. Eine ernüchternde und niederschmetternde Variante: »Gabi!«, rief sie ihrer Freundin zu. Diese reagierte sofort, hockte sich neben sie und lauschte. »Die Typen haben uns viel über sich erzählt. Vieles preisgegeben«, setzte sie an.
»Ja, eine Menge«, pflichtete ihr Gabriele bei. »Wir wissen jetzt, was das Motiv ist, das hinter all dem steckt: Nicht Profitgier, nicht Machtstreben, sondern
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