Todesfrauen
einstellen.«
»Ja, verdammt«, entgegnete Diehl ungehalten. »Aber machen Sie sich lieber Gedanken darüber, wie wir an den eigentlichen Virenbrutofen herankommen: Der liegt nämlich auf amerikanischem Hoheitsgebiet, meine Herren.«
Daraufhin blieben Diehls Gesprächspartner sprachlos.
Das weitere Vorgehen entzog sich Diehls Möglichkeiten der Einflussnahme: Er wusste, dass im Folgenden ein Notfallplan greifen würde. Auf ministerialer Ebene würden die Entscheidungsträger Maßnahmen zum Eindämmen der Virusinfektion und zum Verhindern einer Epidemie ergreifen. Das Ganze vorläufig unter Ausschluss der Öffentlichkeit, um eine Massenpanik zu verhindern. Mehrere Ministerien und ihre zugeteilten Behörden würden tätig werden – nur Diehl selbst waren die Hände gebunden: Der Kampf gegen ein Virus war nicht seine Aufgabe.
Seine Aufgabe … – Nachdenklich trat er hinaus auf den Jakobsplatz, wo ihn ein kühler Wind empfing. Er zündete sich eine Zigarette an und schritt grübelnd über das Kopfsteinpflaster. Seine Aufgabe – selbst für diese hatte er weder die Zeit noch die Ressourcen. Denn bis auf Harry waren mehr oder weniger sämtliche Kräfte zum Schutz des amerikanischen Vizepräsidenten abgestellt worden.
Diehl sog an seiner Zigarette, verschluckte sich und schmiss den Glimmstängel auf den Boden. Während er die Glut austrat, wurde ihm die thematische Nähe zwischen den beiden Ereignissen gewahr: das Auftauchen des Marburg-Virus auf einem amerikanischen Truppenübungsplatz und der anstehende Staatsbesuch des Vizepräsidenten. Zufall?
Er hatte noch nie an Zufälle geglaubt! Während in Diehls Kopf die Groschen fielen, dachte er zurück an die Erlebnisse von Gabriele und Sina auf der Ostseeinsel Usedom: Damals hatten sie mit sehr, sehr viel Glück ein atomares Attentat auf New York verhindert, das eine Söldnertruppe mittels einer weiterentwickelten V2-Rakete aus dem Zweiten Weltkrieg verüben wollte. Ein Jahr darauf waren die Frauen abermals mit den gewissenlosen Verbrechern zusammengestoßen und konnten durch ihre Einmischung einen weiteren Attentatsversuch vereiteln. Beide Male waren die Anschläge gegen die Vereinigten Staaten gerichtet gewesen. Ein dritter Versuch mit einer radioaktiven Waffe stand zweifelsohne über den Möglichkeiten der Terroristen – aber ein Anschlag mit einer Biowaffe lag im Bereich des Machbaren.
Diehl merkte, wie ihm bei diesen Gedankenspielen warm wurde. Er zog sein großes, weißes Stofftaschentuch aus der Hosentasche und tupfte sich über die Stirn. Diese war trotz der kühlen Temperaturen feucht geschwitzt.
Lag das bloß an seinen beunruhigenden Überlegungen oder hatte er etwa Fieber?
27
Sie wurden brutal aus dem Schlaf gerissen. Das Deckenlicht blendete sie, als der Ire erst Sina und dann Gabriele am Arm packte, auf die Beine stellte und beide Frauen hinter sich herzog. Der Weg führte sie durch den Flur, den sie bereits kannten. Sie rechneten damit, wieder zum Chef gebracht zu werden – zum Altpräsidenten.
Vielleicht war das eine neue Chance zu verhandeln, dachte Gabriele. Auf Zeit zu spielen. Sina klammerte sich an ähnliche Gedanken, denn im Zeitschinden sah sie ihre einzige Überlebenschance.
Doch die Hoffnungen der Frauen wurden bitter enttäuscht. Statt in das trotz seiner nüchternen Einrichtung immer noch gastliche Studio, in dem sie dem alten Mann gegenübergesessen hatten, schleifte der Ire sie in eine kahle Zelle, die nichts anderes sein konnte als ein Verhörraum. Angstvoll betrachtete Sina einen Stuhl, dessen Armlehnen und vorderen Beine mit verschließbaren Schellen versehen waren. Kam jetzt doch noch das Wahrheitsserum zum Einsatz? Oder die Giftspritze?
»Setzen!«, befahl der Ire und versetzte Gabriele einen derben Stoß.
Angenommen, dass das Marburg-Virus der zentrale Bestandteil einer Biowaffe sein könnte und dass es sich bei den Waffenschmieden um dieselbe Truppe handelte, mit der es Gabriele und Sina schon zweimal zuvor zu tun bekommen hatten, dann fügte sich ein Puzzle zusammen, das Diehl viel lieber zurück in seine Einzelteile zerlegen würde. Denn dieser Zusammenhang, diese Erkenntnis, konnte nichts Gutes verheißen: weder für die beiden Frauen noch für das Ziel des wahrscheinlich schon bald bevorstehenden Attentats.
Diehl saß wieder in seinem Büro. Harry ließ ihn in Ruhe und hielt schon den ganzen Tag über gebührend Abstand zu ihm, wahrscheinlich, weil er Wind von der Sache mit den Viren bekommen hatte und
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