Todesfrist
wohnhaft in der Lassallestraße …«
»Das ist nicht korrekt«, unterbrach sie ihn. »Wie lautet Ihr vollständiger Name? Was steht dort?«
»Carl Maria Boni.« Er holte tief Luft. »Ja, aber so heiße ich nicht. Jeder nennt mich Carl.«
»Das mag stimmen, doch Ihr zweiter Vorname ist Maria.«
Rote Flecken entstanden auf seinem Gesicht. »Hören Sie, das ist peinlich. Kein Mensch nennt mich Carl Maria.«
»Sie müssen sich nicht dafür genieren. Viele berühmte Persönlichkeiten besitzen diesen Zweitnamen. Klaus Maria Brandauer, Erich Maria Remarque, Rainer Maria Rilke«, zählte sie auf. »Aber keine Sorge, ich werde Sie nicht so nennen.«
»Ach, vielen Dank«, spottete er. »Warum reiten Sie dann darauf herum?«
»Weil es mir wichtig erscheint.« Sie war erst gestern darauf gestoßen, als sie die Unterlagen seiner Akte in den grünen Ordner zu den schwierigen, aber interessanten Fällen gepackt hatte. »Aus welchem Grund könnten Ihre Eltern Ihnen diesen zweiten Vornamen gegeben haben? Heißt jemand in Ihrer Familie so? Ihre Taufpatin, Ihre Großmutter oder die Schwester Ihres Vaters vielleicht?«
»Die heißt Lore, Vater war mein Taufpate … und nein, niemand heißt so.«
»Merkwürdig. Manchmal trägt man den Namen einer Schwester oder eines Bruders als zweiten Vornamen«, schlug sie vor. »Aber Sie sagten, Sie seien ein Einzelkind.«
»Ja, ich bin ohne Geschwister aufgewachsen.«
Er weiß es!
Wieder schlug Roses Herz schneller. Oder hat er nur eine vage Ahnung von der Wahrheit und den Rest verdrängt? Irgendwie musste sie dahinterkommen, wie viel er wusste, ohne ihn mit der Nase daraufzustoßen.
»Aus welchem Grund könnten sich Ihre Eltern ausgerechnet für den Namen Maria entschieden haben?«
»Woher soll ich denn das wissen? Vielleicht wegen Marie Antoinette? Keine Ahnung!«
»Sie sagten, Sie wären ohne Geschwister aufgewachsen. Das heißt nicht, dass es keine gibt.«
Carl wurde sichtlich heiß. Er zerrte am Kragen des Rippshirts. »Ich würde die Sitzung jetzt doch gern auf ein anderes Mal verschieben.«
»Ausgezeichnete Idee«, reagierte Rose prompt. »Sie könnten in der Zwischenzeit die Magistratsabteilung 35 in Wien aufsuchen und sich danach erkundigen, ob jemand …«
»Verdammte Scheiße, ja!«, fuhr er sie an. »Es gab mal eine Maria. Aber ich habe sie nie kennengelernt.«
»Wer war das?«
»Keine Ahnung. Sie ist vor meiner Geburt gestorben.«
Im Alter von fünf Jahren. Möglicherweise wusste Carl dieses Detail gar nicht.
»War Maria Ihre Schwester?«
Er hob die Schultern. »Möglich, keine Ahnung … vielleicht. Vater und Mutter haben nie darüber gesprochen.«
»Wie haben Sie dann von Maria erfahren?«
»Puuh!« Er dachte nach. »Mit zehn habe ich den Nachtschrank meiner Mutter durchstöbert und ein Foto von ihr gefunden.«
»Wie alt war sie auf dem Bild?«
»Vier oder fünf Jahre.«
»Wissen Sie, woran sie gestorben ist?«
Er blähte die Wangen auf. »Das war lange vor meiner Geburt.«
Ein Jahr und drei Monate. Am 6. August, um genau zu sein.
»Ich kann mich gut in Sie hineinversetzen«, sagte Rose. »Und glauben Sie mir: Ich weiß, eine solche Situation ist nicht leicht zu begreifen.«
»Was ist daran schwer zu begreifen?«, fuhr er sie an. »Ich kannte die ja nicht mal.«
»Stimmt, aber Sie haben ihren Namen als zweiten Vornamen erhalten und damit ungewollt eine große Verantwortung übernommen – für ein totes Familienmitglied, das Sie nie kennengelernt haben.«
»Das alles ist mir zu viel.« Er schüttelte den Kopf. »Ich bin aus einem völlig anderen Grund hier. Was hat die Scheiße um diese blöde Göre mit mir, meinem Drogenproblem, meiner Aggression oder dass ich Frauen nachstelle zu tun?«
Eine ganze Menge.
Klar, sie standen kurz vor der Lösung, und nun blockierte er wieder. Massiver als sonst. Es wurde Zeit, einen Gang zurückzuschalten und das Problem von einer anderen Seite anzugehen.
»Sie haben recht. Wenn Sie wollen, können wir gern wieder über Ihr Drogenproblem reden.«
»Gut.« Seine Schultern sanken nach unten. Im Vergleich zu seiner Familiengeschichte war ihm dieses Thema willkommen.
»Welche Drogen haben Sie genommen?«, fragte Rose.
»Das wissen Sie doch! Ecstasy.«
Sie wartete eine Weile, doch es kam nichts mehr. »Das ist alles?«
Er nickte.
»Kommen Sie, wegen Ecstasy kriegt man nicht drei Jahre bedingt.«
»Und Kokain.«
Das klang schon eher nach der Wahrheit. Bisher hatten sie nie über die harten Drogen
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