Todesfrist
auf den Couchtisch gleiten ließ.
Sneijder betrachtete das Ding, ohne es zu berühren. »Ein Stimmenverzerrer, der am Kehlkopf angebracht wird. Damit gelang es Carl während seiner Telefonate, in eine andere, stärkere Identität zu schlüpfen, die seine Rache umsetzen sollte.«
Kohler wischte Sneijders Überlegung mit einer Handbewegung weg, als wäre er nicht an diesem Psychogewäsch interessiert. »Das bedeutet, Carl war hier, als er vor über einer Stunde mit Helen telefonierte. Sie nannte ihm ihren Aufenthaltsort, und er hielt sie eine halbe Stunde lang hin. In dieser Zeit fuhr er zu Roses Praxis, manipulierte unseren Wagen und vermutlich auch alle anderen vor dem Haus – bis auf Helens Toyota. Erst dann schickte er ihr die SMS.« Seine Kiefer mahlten, als wollte er eine Bleiplatte zerbeißen.
»Könnte so gewesen sein – allerdings hat die Sache zwei Haken«, unterbrach Sneijder ihn. »Wenn er tatsächlich hier war und dies sein geheimes Versteck ist, müsste Helen Berger ebenfalls hier sein – aber das ist sie nicht.« Er streckte den zweiten Finger aus. »Wo ist er jetzt, und wohin hat er Helen Berger gebracht? Hier sind sie jedenfalls nicht.«
»Scheiße.« Kohler ging zum Fenster und telefonierte mit dem Wega-Einsatzleiter, dessen Team in der Cobenzlgasse vor Carmen Bonis Haus wartete. Danach steckte er das Handy frustriert weg. »Dort tut sich auch nichts. Die Wärmebildkameras bringen kein Ergebnis. Er hat uns verarscht.« Er schloss das Fenster. Augenblicklich verstummte das Trommeln der Regentropfen auf dem Fensterblech. »Hauen wir ab. Wir …«
»Still!«, zischte Sabine.
Kohler verharrte in der Bewegung. Er und Sneijder warfen ihr fragende Blicke zu.
»Hören Sie das nicht?«, flüsterte sie.
Sneijder blickte nach oben. Leise, dumpfe Schläge drangen durch die Zimmerdecke.
»Da ist jemand auf dem Dachboden.« Kohler lief durch die Räume und inspizierte die Decke, doch er fand keinen Zugang.
Sabine erinnerte sich an die Dachkammer im Wohnhaus ihrer Mutter in München, die sie nach den Klassenbüchern durchsucht hatte. »Der Dachboden dieses Hauses ist sicher nicht vom Atelier aus zugänglich«, sagte sie und rannte aus der Wohnung.
Sneijder folgte ihr in den Gang. Doch auch im Treppenhaus fanden sie keine Auszugstreppe in der Decke. Kohler blieb im Atelier und suchte dort weiter.
»Irgendwelche Ideen?«, fragte Sneijder.
Sabine blickte zur Tür von Helga Gruwohl. »Es muss einen Aufgang geben.«
Gleichzeitig starrten sie zur Gemeinschaftstoilette im Korridor. Sneijder war als Erster dort und riss die Tür auf. Eine Klomuschel mit Keramikspülkasten, ein Handwaschbecken und ein
offener Hängeschrank mit Toilettenpapier – mehr gab es nicht zu sehen.
Eine nackte Glühlampe ragte neben dem Lichtschalter aus der Wand. In der Decke waren die Umrisse einer Dachluke zu sehen. Sneijder stieg auf die Klobrille, fingerte den Griff heraus und zog die Luke auf. Eine dreiteilige Leiter klappte herunter. Die Dienstwaffe in der Hand, kletterte er die Treppe nach oben.
»Kohler!« Sabine winkte den Ermittler aus der Wohnung zu sich, dann folgte sie Sneijder.
Die Dachkammer war so hoch, dass man aufrecht stehen konnte. Sabine benötigte einige Sekunden, bis sich ihre Augen an die Dunkelheit gewöhnt hatten. Durch eine trübe Scheibe fiel Licht herein. Der Dachboden erstreckte sich über das gesamte Haus. Ein paar etwa eineinhalb Meter hohe Zwischenwände aus Kork unterteilten den Raum in mehrere Abteile. Styroporplatten und Bündel von Glaswolle lagen herum. Der offenbar geplante Ausbau war nie realisiert worden. In jener Ecke, unter der Hitzenhammers Atelier lag, spannten sich Wäscheleinen, an denen weiße Bettlaken bis zum Boden hingen. Einige andere befanden sich an den Holzbalken der Dachschräge. Die Konstruktion glich einem Würfel. Jemand hatte hier einen isolierten Bereich wie in einem Krankenhaus geschaffen. Hinter dem Laken brannte eine Lampe. Der Schatten eines Bettes mit einer Person darauf wurde auf das Stofftuch projiziert.
Sneijder reichte Sabine die Glock. »Sichern Sie den Dachboden!« Er ging auf die Laken zu und zog sie weg.
Sabine sah sich um und blickte über die nächstgelegenen Korkwände. Keine Spur von Carl Boni. In diesem Moment steckte Kohler den Kopf durch die Bodenluke.
»Wir brauchen einen Krankenwagen!«, rief Sneijder.
Kohler griff zum Handy. »Wie geht es ihr?«, rief er, während er wählte.
»Sie kommt durch.«
Sabines Magen zog sich zusammen. Sie
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