Todesfuge: Gerda und Otto Königs zweiter Fall (German Edition)
und schien seine Frau zur Eile zu treiben, denn diese rappelte sich auf und nahm seine Hand, die sie allerdings mehr zog, als dass sie ihr eine hilfreiche Stütze bot. Michaels Herz verkrampfte sich, als er das sah.
Tiffi hatte sich geduldig neben ihr Herrchen gesetzt und gewartet , bis dieser bereit war, seinen Beobachtungsposten wieder zu verlassen. Nachdem Wellensteins in der Musikschule verschwunden waren, trat Michael aus dem Schutz der Gasse heraus. Unschlüssig, was er tun sollte, blieb er vor dem Gebäude stehen und bemerkte erst dann den Mann in dem grünen Ascona gegenüber. Er schien den Eingang der Musikschule zu beobachten.
Tiffi hatte eine spannende Stelle an einem Laternenpfahl gefunden und begann interessiert zu schnüffeln. Michael war immer noch wütend über das, was er eben gesehen hatte und so zog er den kleinen Mischling unsanft an der Leine zu sich und tadelte ihn dafür, dass er seine Nase immer überall hineinstecken musste.
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Sonntagnachmittag / Preisverleihung
„Mich wundert nur, dass der Festakt nicht verschoben wurde. Immerhin ist gestern seine Mutter gestorben.“ Gerda König reichte ihrem Mann eine weitere Föhnbürste an, während er damit beschäftigt war, die Strähnen, die er bereits aufgedreht hatte, zu trocknen. Otto nahm seiner Frau die Bürste ab. „Du hast Recht, jeder normale Mensch hätte die Veranstaltung abgesagt. Aber Wellenstein ist ein Star und für die gelten anscheinend andere Regeln. Ich finde es auch nicht richtig.“ Gerda sah im Spiegel zu, wie ihr Mann die nächste Haarsträhne vorsichtig um die Bürste wickelte und immer wieder von unten mit dem Föhn bearbeitete. Heute wollte sie richtig gut aussehen, denn ein wenig war das auch ihr Festtag. Schließlich war sie schon etliche Jahre in der Bärlinger Kantorei und seit ungefähr zehn Jahren Chorsprecherin. Dass der Gründer der Kantorei heute die goldene Ehrennadel der Bürgerschaft verliehen bekam, war für sie ein besonderes Ereignis und sie war stolz darauf, als Repräsentantin des Chors eingeladen zu sein.
„Weißt du Otto, Wellenstein hätte auch kneifen können. Niemand hätte es ihm verübelt, wenn er den Termin verschoben hätte. Der Tod seiner Mutter wäre schon eine gute Entschuldigung gewesen. Er aber lässt die Veranstaltung trotzdem stattfinden. Dazu gehört auch Stärke.“
„Ja, ja, nimm ihn nur in Schutz, den großen Maestro. Ich bleibe dabei, dass er sich den Auflauf der Polit- und Kulturprominenz einfach nicht entgehen lassen will. Wer weiß, ob er in ein oder zwei Wochen genau den gleichen großen Bahnhof bekommen hätte wie heute. Hast du gelesen, wer sich da alles angekündigt hat? Sogar der Landrat kommt nach Bärlingen.“
Gerda mochte es nicht, wenn ihr Mann sich so kritisch über Leute ausließ, die sie insgeheim bewunderte. Über Wellenstein konnte man sicher streiten und es gab nicht wenige, die ihm seinen Erfolg neideten. Aber die Verdienste um die Musik, die Gründung der Kantorei und das persönliche Charisma, das waren Fakten und die wollte sich Gerda von ihrem Otto nicht kleinreden lassen.
„Der ganze Rummel um Wellenstein, die Preisverleihung und die Umbenennung der Musikschule nach ihm wird aber von allen Geschäftsleuten gern gesehen, denn er bringt auch viele Touristen nach Bärlingen, die auf Wellensteins Spuren wandeln wollen. Selbst wir haben schon gespürt, dass die Preisverleihung heute für viele ein wichtiges Ereignis ist, bei dem sie sich von ihrer besten Seite zeigen wollen. Immerhin war der Laden gestern brechend voll.“
Otto hatte den Föhn ausgeschaltet und hielt Gerda in alter Gewohnheit den Spiegel hin, damit sie sein Werk begutachten konnte. Gerda winkte lachend ab. „Danke, mein Schatz, ich weiß doch, dass ich gut aussehe, wenn du mich frisier st.“
„ War nicht auch Valentina Felice gestern im Salon, obwohl sie heute gar nicht eingeladen ist?“
Gerda verdrehte die Augen. Valentina Felice gehörte zu der Sorte Kundin, die ihre volle Aufmerksamkeit beanspruchte, oftmals auch über Gebühr. Zwar war die Italienerin nicht zur Preisverleihung geladen, aber sie war nicht müde geworden, immer wieder zu erwähnen, dass ihr Mann es sich nicht leisten könne, das Venezia einen ganzen Abend zu schließen. Außerdem würden sie sowieso viel mehr von der unmittelbaren Kunstförderung halten, womit sie zweifelsohne den Gesangsabend vorgestern im Sinn hatte. „Wenn du mich fragst, dann war die Gute zum Schaulaufen in der Stadt unterwegs und da
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