Todesfuge: Gerda und Otto Königs zweiter Fall (German Edition)
seinen Nachfolger in Bärlingen ins Gespräch gebracht hatte. Die Stelle in seiner Heimatstadt hatte er sehr gern angenommen, nicht nur, weil er Bärlingen vermisste, sondern auch, weil er als junger Familienvater eine feste und solide Stelle inzwischen sehr zu schätzen wusste, auch wenn die Rückkehr nach Bärlingen musikalisch gesehen erst einmal einen herben Einschnitt für ihn bedeutete. Die Kantorei hatte unter Wellenstein nur einen Bruchteil ihres Potentials entwickeln können und Hensler musste ganz von vorn beginnen. Der Chor war mit seiner Probenarbeit anfangs überfordert und die Ha-Pe völlig ergebenen Sänger litten unter dem Liebesentzug ihres ehemaligen Maestros.
Auch jetzt schien die Aura Wellenstein auf seinen Chor noch die gleiche Wirkung zu haben. Hensler hatte die Probenarbeit kritisch verfolgt und musste Wellenstein zugestehen, dass ihn die großen Bühnen Routine und auch Können vermittelt hatten; ein begnadeter Musiker war Wellenstein allerdings immer noch nicht. Was ihm musikalisch fehlte, machte er mit seinem Charisma wieder wett.
Nach der Probe gab es für Wellenstein Applaus und der Großteil des Chors machte sich auf in Richtung Venezia . Zurück blieben nur ein paar einzelne Helfer, um die Stühle im Gemeindesaal wieder ordentlich zu stapeln und in ihrem Verschlag zu verstauen. Gerda half ebenfalls mit und war eine der letzten, die das Gemeindehaus verließen. Als sie sah, dass Wellenstein seinen Mantel nahm und drauf und dran war, allein in die Pizzeria zu laufen, wartete sie, um mit ihm zusammen zu gehen. Sie fühlte sich ein wenig befangen; persönlich hatte sie Wellenstein schon lange nicht mehr gesprochen. Dieser jedoch ließ gar keinen Zweifel daran aufkommen, dass sie das Gespräch nicht sofort wieder da aufnehmen konnten, wo sie es vor Jahren abgebrochen hatten.
„Das ist schön, dass wir ein paar Worte miteinander reden können, Frau König. Ich hoffe, e s geht Ihnen und Ihrem Mann gut? Gibt er immer noch seine legendären Gourmet-Einladungen? Ich erinnere mich noch so gut an seine köstliche Fischpastete, die er zu unserem letzten gemeinsamen Chor-Fest mitgebracht hat.“
Gerda fühlte sich geschmeichelt. Woran Wellenstein sich erinnern konnte! Sie wusste aus ihrer Arbeit im Salon zwar, wie gute Kundenbindung funktioniert, aber bei Wellenstein war das etwas anderes. Sie sprach ihre Kunden regelmäßig. Nachdem Wellenstein die Kantorei verlassen hatte, hatte Gerda ihn kaum noch gesehen. Persönliche Berührungspunkte gab es keine mehr.
„Danke, uns geht es gut. Wahrscheinlich sitzt Otto gerade zu H ause und wälzt seine Kochbücher. Am Samstag ist es wieder soweit und seine Freunde kommen zum Schlemmen.“ Gerda wusste, dass sie Wellenstein zum Tod seiner Mutter kondolieren sollte. Allerdings war der Dirigent gerade in so aufgeräumter Stimmung, dass sie ihm den Abend nicht mit der Erinnerung an seinen Verlust verderben wollte. „Die Kantorei freut sich sehr, dass Sie uns für Ihr Jubiläumskonzert ausgewählt haben. Das ist wirklich eine große Ehre.“
„Ach meine Liebe, das Vergnügen ist ganz auf meiner Seite. Gerade wenn man es geschafft hat, muss man seine Wurzeln doch in Ehren halten. Sagen Sie, Ihr Neffe müsste sein Musikstudium doch mittlerweile auch abgeschlossen haben. Erfolgreich wie ich hoffe?“
Gerda war perplex. Sie wusste selbst nicht mehr, dass sie Wellenstein von Max erzählt hatte und jetzt - nach Jahren - konnte der sich noch daran erinnern. Der letzte Rest Befangenheit war jetzt von ihr gewichen und sie berichtete von den ersten beruflichen Schritten, die ihr Neffe bereits unternommen hatte. Vergnügt plaudernd erreichten die beiden das Venezia , wo Wellenstein enthusiastisch von Adriano Felice begrüßt wurde.
Der Wirt stürmte mit erhobenen Armen auf seinen prominenten Gast zu und schüttelte ihm die Hand. „Buona sera, Signore Wellenstein. Das iste eine große Ehre für mich, dass Sie sind g ekommen in meine Haus. Herzlich Willkommen! Die Sänger sind schon gegangen in die Nebenzimmer.“ Und mit ausladender Geste verbeugte sich der Italiener, während er Wellenstein den Weg frei machte und mit der Hand in Richtung Durchgang zum Hinterzimmer wies. Wellenstein dankte dem sichtlich gerührten Inhaber für seine freundliche Begrüßung und führte Gerda in das Hinterzimmer, wo die restlichen Chormitglieder bereits Platz genommen hatten. Wellenstein ging auf den Tisch zu, an dem bereits sein Sekretär und Willi Hensler Platz genommen hatten
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