Todesfuge: Gerda und Otto Königs zweiter Fall (German Edition)
schließlich leise auf die andere Seite des Bettes. Auch das noch! Gerda hatte gehofft, dass der Täter von der Fensterseite her angreifen würde, dann hätte sie ihn mit dem Elektroschocker gut erreichen können, den sie in der rechten Hand fest umklammert hielt. Mit links würde sie sicher Schwierigkeiten haben, die Waffe genauso zielgerichtet einzusetzen. Es war nichts zu machen, der Täter stand nun einmal auf der linken Seite des Bettes und bevor Gerda sich noch weitere Gedanken machen konnte, kam er näher, aber nicht nah genug. Sie wurde unruhig; der Täter schien mitten in seiner Bewegung zu verharren. Hatte er draußen etwas gehört? Oder hatte er vielleicht Verdacht geschöpft, sie gar bemerkt? Gerda hielt unwillkürlich die Luft an. Was war hier los? Konnte der Eindringling die Sache nicht zu Ende bringen? Gerda glaubte, die Spannung nicht mehr länger aushalten zu können. Es blieb ihr nichts anderes übrig als zu warten, bis der Täter direkt neben ihr stehen würde.
Wer war der Todesbote, der es zu genießen schien, über Leben und Tod zu entscheiden? Stand Esther Wellenstein vor dem Bett, eine Eisenhut-Rispe aus dem eigenen Garten in der Hand und bereit, ihren Mann durch die Berührung mit der giftigen Pflanze zu ermorden? Auch wenn bei Wellensteins Mutter das Gift der Pflanze im Magen gefunden wurde, so wusste Gerda mittlerweile durch ihre Recherche im Internet, dass in besonderen Fällen auch schon die Berührung mit der Pflanze totbringend war. War Esther Wellenstein die Mörderin, auf die sie gewartet hatten? Hatte sie das Exerzitienhaus als Tatort gewählt, weil man sie nachts hier nicht vermuten würde? Ihren Besuch heute Nachmittag hatten alle Chormitglieder als fröhlich und harmonisch in Erinnerung und würden das auch bezeugen können. Warum sollte eine Frau, die ihrem Mann und seinem Chor Kuchen zur Probe bringt, diesen in der Nacht ermorden?
Jetzt kam der Eindringling näher. Gerda war bereit. Hoffentlich hielt das Gerät, was der Hersteller versprach! Der Kontakt sollte für den Angreifer äußerst schmerzhaft sein und zu einer kurzzeitigen Muskellähmung führen. Schätzungsweise hatte Georg dann maximal eine Minute Zeit, um herüberzukommen und die Situation unter Kontrolle zu bringen. Gerda besaß das Gerät schon seit einigen Jahren. Otto hatte sicherheitshalber die Batterien erneuert und auch getestet, ob ein Lichtbogen zu sehen war, wenn man den Auslöser betätigte. Gerda versicherte sich, dass sie ihren Finger auf dem Auslöser positioniert hatte.
Als der Täter nah genug war, verpasste Gerda dem Eindringling einen Stromschlag am Knöchel und rief nach Georg.
Nachdem sie hörte, dass Georg das Zimmer gestürmt und angedroht hatte, von der Schusswaffe Gebrauch zu machen, kroch Gerda langsam auf der Fensterseite unter dem Bett hervor. Als erstes sah sie Georg, der am Fußende des Bettes stand, seine Waffe mit beiden Händen und ausgestreckten Armen hielt und auf die Person richtete, die am Boden lag. Dort krümmte sich Ronny Pirchow, Wellensteins Assistent, noch immer vor Schmerzen und hielt seinen Knöchel umfasst. Ihm war eine Pistole mit Schalldämpfer aus der Hand gefallen, sie lag jedoch direkt neben ihm. „Bleiben Sie ruhig, dann geschieht Ihnen nichts“, rief der Hauptkommissar dem Täter zu. Er wollte sich langsam nähern, um die Waffe aufzuheben. Pirchow jedoch reagierte schneller, griff nach seiner Pistole und richtete sie gegen sich selbst.
Gerda konnte es nicht fassen. Wellensteins Assistent war auf ihrer Liste der Verdächtigen der letzte gewesen, dem sie den Mord wirklich zugetraut hätte. Dieser Mann, der sich immer so aufmerksam um seinen Chef gekümmert, ihm jeden Wunsch von den Lippen abgelesen hatte und zu jedem zuvorkommend und höflich gewesen war, dieser Mann sollte ein Mörder sein? Gerda konnte es kaum glauben. Was für ein Motiv konnte er haben? Was hatte ihn nur zu dieser Tat getrieben und war er auch für die bisherigen Attentate verantwortlich?
Aus den Zügen des jungen Mannes war jede Freundlichkeit gewichen. Gerda blickte in ein von Hass verzerrtes Gesicht und erschrak. Dass sie sich so in einem Menschen hatte täuschen können!
Pirchow schien sich von dem Stromschlag erholt zu haben und rappelte sich langsam auf. Zu Georg gewandt zischte er zwischen den Zähnen hindurch : „Nein, Sie lassen die Waffe fallen, sonst haben Sie gleich den nächsten Toten auf dem Gewissen. Ich mache keine Scherze!“ Georg hielt seinem Blick stand und rührte sich
Weitere Kostenlose Bücher