Todesfuge: Gerda und Otto Königs zweiter Fall (German Edition)
erneut den Atem an und tastete nach ihrem Elektroschock-Gerät. Vielleicht war die Lage doch ernster als sie glaubte. Sie spürte, wie das Adrenalin in ihrem Blut dafür sorgte, dass sich die Welt plötzlich in Zeitlupe zu drehen schien. Alles hatte sich verlangsamt und ihr Herz pochte so laut, dass sie fürchtete, man würde es noch zwei Zimmer weiter hören können.
Der Eindringling stand jetzt im Zimmer und stolperte in Richtung Bett. Ganz offensichtlich schien es ihn zu irritieren, dass dort bereits jemand lag, denn er brummte etwas Unverständliches und schlurfte zurück zur Balkontür. Gerda hörte, dass die Person wieder nach draußen ging und einem Chor-Kollegen lachend und mit schwerer Zunge zurief, dass das ja gar nicht das gesuchte Zimmer sei. Gerda erkannte die heisere Stimme sofort, das war Ansgar Wellenstein.
Der hatte ganz schön einen in der Krone, dachte die Friseurin. Er hatte sich heute Abend von seinem Bruder aber auch einiges gefallen lassen müssen. So wie es aussah, hatte er die Demütigungen des Dirigenten im Alkohol ertränkt und dann seinen Zimmerschlüssel nicht mehr gefunden. Jemand musste den Apotheker auf den Balkon gelassen haben, damit er auf diese Weise in sein Zimmer gelangen konnte. Gerda lauschte. Ansgar schien sein Zimmer gefunden zu haben, denn auf dem Balkon war es still geworden.
„Puh, das war wirklich knapp. Alles in Ordnung bei Ihnen da oben, Herr Wellenstein?“ , flüsterte Gerda. Sie brauchte eine kleine Unterbrechung ihrer Agenten-Mission, um die Anspannung loszuwerden.
„Ja. Ich liege wenigstens komfortabel , auch wenn es nicht gerade angenehm ist, auf seinen Mörder zu warten.“
Georg mischte sich über Funk ein. „Jetzt aber bitte Ruhe, da drüben. Wir sind schließlich nicht zum Vergnügen hier. I ch will nicht, dass unser Plan auffliegt.“
„Ok“, gab Gerda kleinlaut zurück. Georg hatte Recht, sie hatten nur diese eine Chance, um dem Mörder eine Falle zu stellen. Wenn sie die Tat verhindern und ihn erwischen wollten, dann musste ihre Rechnung aufgehen.
Gerda richtete sich erneut auf eine Wartezeit ein. Sie merkte, dass die Angst in ihr hochkroch. Was machte sie hier nur? Sie lang mitten in der Nacht bei ihrem früheren Dirigenten unter dem Hotelbett. Glaubte sie tatsächlich, dass sie einem abgebrühten Mörder, der gezeigt hatte, dass er vor nichts zurückschreckte, mit einem Elektroschocker Angst einjagen oder ihn damit gar überwältigen konnte? Was war das nur für eine Schnapsidee gewesen, sich auf dieses Unterfangen einzulassen! Es war die eine Sache, aus der Perspektive eines interessierten Laien vielleicht den einen oder anderen Tipp zu einem Kriminalfall abzugeben, aber eine gänzlich andere, sich mit Haut und Haaren in den Fall hineinziehen zu lassen, so wie sie es getan hatte. Gerda wusste, dass es jetzt zu spät war, um die Sache zu beenden. Da musste sie jetzt durch. Aber was sie bislang erfolgreich verdrängt hatte, ließ ihr jetzt keine Ruhe mehr. Sie konnte nur noch an das eine denken: Was, wenn der Mörder kurzerhand seinen Plan änderte und auch sie angriff? Auf einen mehr oder weniger kam es dem bestimmt nicht an.
„Gerda, mach dich bereit! Ich höre jemand auf dem Balkon“, flüsterte Georg. Er schien nicht zu sehen, wer sich ihrem Zimmer näherte. Gerda schloss für einen kurzen Moment die Augen, holte tief Luft und drehte anschließend den Kopf zur Balkontür. Hinter dem Vorhang konnte sie den Umriss einer Person erkennen. Diese schien kurz zu verharren, bevor sie lautlos den Vorhang zur Seite hielt und den Raum betrat. Hätte Georg sie nicht vorgewarnt, hätte Gerda nicht gemerkt, dass jemand ins Zimmer gekommen war. Der Eindringling ließ den Vorhang geräuschlos hinter sich fallen und wartete einen Moment in der Balkontür. Offensichtlich beobachtete er Wellenstein, der sich in Richtung Fenster gedreht hatte und vorgab zu schlafen. Gerda versuchte, die Schuhe zuzuordnen. Wer war der Eindringling, der es anscheinend nicht eilig hatte, sein Vorhaben in die Tat umzusetzen? War es vielleicht doch Ansgar Wellenstein, der sich vorhin nur vergewissern wollte, dass er auch in das richtige Zimmer einstieg? War seine Weinseligkeit vielleicht nur vorgetäuscht, um ihm für die Tatzeit ein lupenreines Alibi zu verschaffen?
Der Dirigent schien keinen Verdacht zu erregen, denn der Täter ließ sich Zeit . Was genau führte er im Schilde? Wie würde er den Mord verüben wollen? Nach einer für Gerda endlosen Zeit lief die Person
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