Todesfuge: Gerda und Otto Königs zweiter Fall (German Edition)
der lässt sich am Telefon von seiner Frau verleugnen. Sie hat nur vage Andeutungen gemacht, wollte uns aber ohne ihren Mann auch nicht mehr sagen. Und der ist einfach nicht zu sprechen.“
Die Geschichte schien Wellenstein doch mehr mitgenommen zu haben, als er es sich noch am Wochenende eingestehen wollte. Gerda wunderte es nicht, dass er sich völlig zurückgezogen hatte. Die ständigen Fragen gingen ja ihr bereits auf die Nerven und sie war es nicht, die vor ein paar Tagen ihrem Attentäter ins Auge geschaut hatte und der man eröffnete, dass sie einen unehelichen Sohn habe, der sie grenzenlos hasste.
Ihre Kundin kam ohne lange Umschweife auf den Punkt. „Ich dachte, dass Sie mir vielleicht sagen können, was am Samstag passiert ist. Schließlich waren Sie doch dabei.“
Gerda wollte auch hier keine Ausnahme machen. Dass die Wellensteins nicht miteinander sprachen, fand sie zwar seltsam, aber das war nicht ihr Problem. Aber das konnte sie natürlich auf gar keinen Fall sagen.
„Wissen Sie, Frau Wellenstein, das ist nicht so einfach , wie Sie denken. Selbst wenn ich wollte, ich dürfte Ihnen gar nichts sagen. Nicht einmal, wenn Sie der Herr Pfarrer wären. Wenn die Polizei einmal ermittelt, dann müssen sich alle an die Regeln halten. Das verstehen Sie, gell?“
Die Apotheker-Gattin nickte zerknirscht. Sie hatte gehofft, hier im Salon endlich die Antworten zu bekommen, die ihr Schwager ihr schuldig geblieben war.
Gerda wollte das Thema wechseln, um endlich in Ruhe arbeiten zu können. Diese ständigen Fragen nach dem Attentat brachten sie immer ganz aus dem Tritt und sie erwischte sich dabei, dass sie über alltägliche Routinehandgriffe nachzudenken begann. Warum ließ man sie nicht einfach in Ruhe ihre Arbeit machen? Im Gegensatz zu Georgs Kriminaleinsätzen war das nämlich der Beruf, den sie einmal ergriffen hatte und dem sie mit Leidenschaft nachging. Hier im Salon machte sie die Leute glücklich und sie war froh, dass sie nicht jeden Tag mit Mord und Totschlag konfrontiert war.
„Wie geht es denn Ihrem Mann, Frau Wellenstein? Seine Stimme war am Sonntag doch ziemlich mitgenommen. Kann er inzwischen wieder sprechen?“
Ansgar Wellenstein hatte trotz seiner stimmlichen Probleme an den Proben am Sonntag teilgenommen. Offenbar wollte er sich vor seinem Bruder keine Blöße geben und keine weitere Angriffsfläche für spitze Kommentare bieten. Es war allerdings nicht zu überhören, dass seine Stimme am Ende war. Gerda hatte Ansgar Wellenstein in einer Pause zur Seite genommen und ihm in ihrer Funktion als Chorsprecherin empfohlen, das Wochenende vorzeitig zu beenden. Aber das hatte der Apotheker kategorisch abgelehnt. Er hätte da seine Spezialmittel, auf die er schon seit Jahren schwöre. Damit würde er das wieder hinbekommen. Gerda konnte nichts weiter tun als zuzusehen, wie der Tenor sich wieder einreihte und das letzte aus seinen malträtierten Stimmbänden herausholte. Diese quittierten ihm die Tour de Force damit, dass sie ihm am Ende des Wochenendes komplett den Dienst versagten.
Gerda sah i hre Kundin im Spiegel an. Das Thema schien ihr ebenso große Sorgen zu bereiten wie die Ungewissheit ihren Schwager betreffend. „Fragen Sie nicht, Frau König. Es ist doch jedes Mal wieder das Gleiche. Ich sage ihm immer, dass er sich schonen müsse und dass er doch wisse, dass er den Anforderungen der Kantorei stimmlich nicht gewachsen ist. Aber er hört nicht auf mich. Die Musik ist einfach sein Ein und Alles. Um in der Kantorei mitsingen zu können, würde er sein letztes Hemd geben. Und glauben Sie mir, wenn er den Unfall von damals rückgängig machen könnte, dafür würde er sogar seine eigene Mutter verkaufen. Pardon, Frau König. Aber Sie wissen, was ich damit sagen will.“
Gerda nickte. Es war ihr unangenehm, dass Frau Wellenstein so weit in die Vergangenheit zurückging, um ihre Frage zu beantworten. Die Friseurin hatte nur höflich sein wollen. Keinesfalls wollte sie ein psychologisches Gespräch über die Rivalität der Wellenstein-Brüder führen oder Einzelheiten des dramatischen Unfalls während des Abiturfestes, bei dem Ansgar einen irreparablen Stimmschaden erlitten hatte, erörtern. Es änderte sich nichts mehr an der Situation ihres Chor-Kollegen. Seine Stimme war nicht mehr chortauglich und den Platz in der Kantorei hatte Ansgar Wellenstein nur seinem Bruder zu verdanken ebenso wie sein Comeback für Hans-Peters Jubiläumskonzert.
Gerda wollte nicht so tun , als ob ihr das
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