Todesgarten
gibt keine Unklarheiten.
Ich wollte ihn nur einmal sehen.«
Sie schürzte die Lippen. Bedachte ihn mit einem langen
Blick. Dann nickte sie schlieÃlich.
»Also gut. Sie finden mich in meinem Büro, wenn Sie
Fragen haben. SchlieÃen Sie die Tür hinter sich, wenn Sie den Raum verlassen.«
»Danke«, sagte er.
Sie verschwand im Flur. Er war jetzt allein mit Daniel.
Ein schöner Mann, da hatte Dr. Freythal recht. Selbst auf dieser kalten Lade
war das noch zu erkennen.
Daniel hatte das blonde Haar ihrer Mutter geerbt. Auch
die hohen Wangenknochen und ihre ebene Haut. Ihm selbst ähnelte Daniel kaum.
Michael war das Ebenbild ihres Vaters. Kein Mensch wäre auf die Idee gekommen,
sie könnten Brüder sein.
Er strich mit dem Finger über Daniels Wangen. Sie
fühlten sich kalt und fest an, wie die einer Statue. Nichts erinnerte mehr an
den Neunjährigen von damals. Nichts auÃer den weizenblonden Haaren. Er war zu
einem Mann gereift, und Michael hatte nichts davon mitbekommen.
»Es tut mir leid«, flüsterte er. »Es tut mir leid,
dass ich nicht da war.«
Eine Zeit lang stand er einfach da und betrachtete Daniel
ausgiebig, dann schob er ihn zurück in sein Fach und verlieà die Kammer.
»GrüÃen Sie Herrn Herzberger von mir!«, rief Frau
Dr. Freythal, als sie ihn im Flur hörte. »Sagen Sie ihm, er schuldet mir noch
ein Abendessen.«
Michael versprach es auszurichten und trat hinaus ins Freie.
Er saà noch eine Weile in seinem Golf und sah den Regentropfen dabei zu, wie
sie an der Windschutzscheibe hinunterliefen. Plötzlich kam ihm ein Einfall. Er
zog sein Handy aus der Hosentasche und wählte Ankes Nummer. Zuerst versuchte er
es im Büro. Tatsächlich ging sie nach dem zweiten Läuten ans Telefon.
»Michael! Was für eine Ãberraschung! Hast du was vergessen?«
»Nein, eigentlich nicht. Aber was ist mit dir? Habt
ihr kein Wochenende?«
»Ach, hör bloà auf. Hier ist die Sau los. Aber damit
will ich dich nicht belasten. SchlieÃlich hast du Urlaub. Also: Was kann ich
für dich tun?«
»Na ja, ich möchte dich um einen kleinen Gefallen bitten.
Ist was Privates.«
»Nur heraus damit!«
»Kannst du etwas über jemanden herausfinden? Nur mal
kurz im Computer schauen, ob da was ist?«
»Um wen geht es denn?«
Er hoffte, der Name würde ihr nichts mehr sagen. Es
war nicht sehr wahrscheinlich, aber wenn sie wieder an einem neuen Fall
arbeiteten, war es nicht ausgeschlossen.
»Bernd Neubauer. Gemeldet ist er in Stuttgart.«
» Der Neubauer? Der
Pflegevater von Daniel Treczok?«
Also gut. Es hatte nicht funktioniert.
»Bitte keine Fragen, Anke. Ich möchte einfach, dass du
kurz für mich nachsiehst.«
Ein Poltern in der Leitung. Sie hatte den Hörer weggelegt.
Im Hintergrund hörte er, wie die Bürotür geschlossen wurde. Dann war sie wieder
am Apparat.
»Bist du wahnsinnig geworden? Hast du jetzt völlig den
Verstand verloren? Was soll das denn bitte werden?« Sie holte Luft. »Kannst du
nicht einfach nach Spanien fliegen und dich in die Sonne legen, so wie alle
anderen auch? Dir einen Urlaubsflirt zulegen und abends Cocktails trinken?«
Es war keine gute Idee gewesen, bei ihr anzurufen.
Aber das hatte er schon vorher gewusst.
»Anke, hör doch erst mal zu â¦Â«
»Was gibtâs denn da zuzuhören? Du sagst mir gerade,
dass du ohne Wolfgangs Wissen auf eigene Faust Ermittlungen durchführst. In
deinen Ferien! Verdammt, Michael, geh mal zum Therapeuten. WeiÃt du, was das
für Konsequenzen nach sich zieht?«
»Ich führe doch keine Ermittlungen durch. Ich â¦Â«
Da verstand er, was los war. Weshalb sie samstags unterwegs
waren, obwohl kein neuer Fall eingegangen war. Also doch.
»Die Akte ist offen? Willst du damit sagen, Dennis
Pfeiffer hat die Tat nicht begangen?«
Es dauerte, bis sie ihre Fassung zurückerlangt hatte.
»Wenn du das nicht gewusst hast«, sagte sie und betonte
dabei jedes Wort. »Was zum Teufel willst du dann von Bernd Neubauer?«
»Ich hab doch gesagt, es ist was Privates.«
»Mein Gott, Michael!« Ihre Stimme war laut geworden,
sie versuchte, sie zu dämpfen. »Es reicht schon, dass du so bist, wie du bist.
Wenn Wolfgang nicht auf deiner Seite wäre, hättest du es echt nicht einfach.
Aber wenn du jetzt mit so einer ScheiÃe anfängst, dann sind
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