Todesgarten
Pflegemutter bei ihnen ablieferte. Anke sprang auf und begrüÃte
sie.
»Das ist sehr nett, dass Sie sich die Mühe gemacht haben,
extra vorbeizukommen.«
»Das habe ich doch gern getan. Wir wollten ohnehin
heute Nachmittag in die Stadt fahren.«
Anke nahm einen Stapel Unterlagen vom Besuchertisch
und wischte mit der Hand Brötchenkrümel auf den Boden.
»Nehmen Sie doch Platz. Möchten Sie vielleicht einen
Tee oder einen Kaffee?«
»Nein, danke.«
Kathrin deutete auf die Tür. »Soll ich lieber?«
»Stört es Sie, wenn meine Kollegin dabei ist? Das ist
Frau Herrmann, sie arbeitet ebenfalls am Fall Ihres Pflegesohns.«
»Nein, nein. Bleiben Sie ruhig.«
Da um den Besuchertisch nur zwei Stühle standen, blieb
Kathrin an die Fensterbank gelehnt stehen.
Bärbel Neubauer sah schlecht aus. Hoffentlich hilft es
ihr, herzukommen und bei den Ermittlungen zu helfen, dachte Kathrin.
»Sie machen bestimmt gerade eine schwere Zeit durch«,
sagte Anke. »Wir tun alles, was in unserer Macht steht, um Daniels Mörder zu
finden. Ich möchte mit Ihnen über seine Kindheit sprechen. Er war neun Jahre
alt, als er zu Ihnen gekommen ist, richtig?«
»Ja, das stimmt.« Ein trauriges Lächeln. »Er war ganz
abgemagert und übersät mit Prellungen und blauen Flecken. Sie wissen sicher,
sein leiblicher Vater â¦Â« Sie brach ab.
»Ja, das wissen wir.«
»Er war doch noch so klein. Und trotzdem hatte er
schon so viel Schlimmes durchgemacht.«
»Ja. Was passierte dann?«
»Wir mussten uns am Anfang viel Zeit für ihn nehmen.
Er war sehr scheu und ängstlich. Aber das ist ja ganz normal. Es brauchte
lange, bis er Vertrauen fasste.«
»Aber nach diesen anfänglichen Schwierigkeiten hat er
sich bei Ihnen gut eingelebt?«
»Ja, das stimmt. Sehr gut sogar.« Sie wurde plötzlich
etwas lebendiger. »Ich meine, sehen Sie nur, was aus ihm geworden ist. Er war
ein traumatisierter kleiner Junge, und am Ende hat er sich trotz allem gut
entwickelt. Er hat sogar einen Hauptschulabschluss geschafft. Er konnte auf
eigenen Beinen stehen. Er war am Ende ein ganz normaler Erwachsener. Das hätte
keiner gedacht. Bei seiner Ankunft hat man uns ziemlich düstere Prognosen
gegeben. Die Schäden wären zu groÃ, hat man uns gesagt. Er wird sein ganzes
Leben auf fremde Hilfe angewiesen sein. Und dann das. Wir haben alles zusammen
bewältigt. Die Konzentrationsschwierigkeiten, die Angstzustände, die Lese- und
Schreibschwäche. Er war ein hochgewachsener und gut aussehender junger Mann. Er
hatte jede Scheu verloren. Und er konnte sein Leben selbst in die Hand nehmen.«
Sie hielt inne. »Und dann ist er einfach erschlagen worden. Wie ein räudiger
Hund.«
Anke lenkte behutsam davon ab. »Mit einem Mal hatten
Sie also diesen Jungen«, erinnerte sie die Frau. »Das muss damals sehr
schwierig gewesen sein. Da wurde von allen bestimmt viel Kraft abverlangt,
oder?«
»Ja, das stimmt. Wir mussten unsere Bedürfnisse ein
wenig zurückstellen. Aber das war es wert. Es ging auch gar nicht anders.«
»Hat Ihr Ehemann das auch so gesehen?«
»Bernd?« Sie senkte den Blick. »Er hat sich damit immer
ein bisschen schwerer getan als wir. Aber es haben alle an einem Strang gezogen.«
»Die ganze Zeit über? Entschuldigen Sie, dass ich
nachfrage, aber da habe ich anderes gehört.«
»Nun ja. Später hat sich das geändert, das stimmt. Daniel
wurde älter, und er war nun mal ein schwieriger Junge. Er brauchte viel Aufmerksamkeit.
Wir mussten uns nach ihm richten.«
»Und Ihr Mann hatte irgendwann keine Lust mehr dazu?«
»Nein, so einfach ist es nicht. Auch Bernd hat sich
viel Mühe gegeben. Aber die beiden hatten ⦠wie soll ich sagen ⦠irgendwie
keinen guten Draht zueinander. Und Bernd hatte wenig Geduld. Er hat den Jungen
zunehmend als Belastung für die Familie empfunden. Wir hatten zwar
Familienberater zur Verfügung, mit denen wir die Probleme besprechen konnten.
Zwischenzeitlich wurde es auch besser. Aber ⦠ich glaube, das Problem war, dass
Bernd nicht bereit war, die nötige Arbeit zu leisten. Er hat sich das viel
einfacher vorgestellt. Und dazu kam natürlich, dass er mit dem Jungen nicht
viel anfangen konnte. Die Chemie zwischen den beiden stimmte nicht.«
»War das nicht auch eine Belastung für Ihre Ehe?«
»Natürlich.
Weitere Kostenlose Bücher