Todesgarten
beiseite und faltete den
Zettel auseinander. Darauf befand sich eine Tabelle, die aussah wie ein
Unterrichtsplan. Wochentage und Uhrzeiten bildeten ein Raster. Bernd Neubauer
hatte Buch darüber geführt, wann bestimmte Leute den Klub betraten und wann sie
ihn wieder verlieÃen. Das Wort Putzfrau tauchte in mehreren Kästchen auf,
auÃerdem der Getränkelieferant und die Barkeeper. Am häufigsten stand das Wort
»Stroh« in den Kästchen, aber Michael hatte keine Idee, was damit gemeint sein
könnte.
In ein Kästchen hatte Neubauer ein dickes Kreuz gemalt.
Michael sah auf das Datum. Das war heute gewesen, um fünfzehn Uhr. Die Putzfrau
hatte den Klub um dreizehn Uhr verlassen, ab fünfzehn Uhr war wieder »Stroh«
eingetragen. Michael warf einen Blick auf die Uhr. Es war kurz vor drei.
Ratlos sah er zum Klub. Dort war nichts zu sehen. Er
legte den Zettel zurück und schob die schwere Gardine weiter zur Seite. Am
anderen Ende der Fensterbank entdeckte er ein kleines Fläschchen mit einem
Spraykopf. Ein Reinigungsöl aus der Drogerie, daneben ein verschmutzter
Flanelllappen. Er hob ihn nachdenklich auf und roch an den öligen und ruÃigen
Flecken.
Und plötzlich wusste er, was Bernd Neubauer vorhatte.
Alles war glasklar. Er schob die Gardine ganz zur Seite. Neben der Fensterbank
lehnte ein langer Stab mit einem Bürstenkopf. Er sah sich im Zimmer um, dann
riss er die Schranktüren auf. Tatsächlich. In einem der Schränke stand ein
Waffenkoffer, ein schlichtes Modell, wie viele Jäger es besaÃen. Jetzt verstand
er auch, was Neubauer unter seinem Mantel versteckt hatte. Ein Jagdgewehr.
Michael lief zurück zum Fenster, wo das Schaftöl und
das Reinigungstuch lagen. Laut Ãbersicht würde um fünfzehn Uhr etwas passieren.
Etwas, bei dem Neubauer sein Gewehr zu benutzen plante. Er sah hinüber zum
Klub. Es blieben nur noch wenige Minuten.
Unten auf der StraÃe erschien eine Gestalt. Ein Mann,
der mit schnellen Schritten auf den Klub zuging. Es war der Mann von den
Fotografien. Ob es dieser Stroh war? Neubauer würde drinnen auf ihn warten. Er
hatte genau vermerkt, wann Stroh allein im Klub sein würde. Und heute kam ein
Kreuz dazu.
Michael legte den Griff um und riss das Fenster auf.
Aber es war zu spät. Stroh würde ihn nicht mehr hören. In diesem Moment betrat
er bereits das Gebäude.
»Verflucht!«
Er musste etwas tun. Hinüber zum Klub laufen. Vielleicht
würde es ihm gelingen, Neubauer aufzuhalten. Er schloss das Fenster und wandte
sich ab.
Geräusche im Treppenhaus waren zu hören. Ein Poltern,
dann verhaltene Stimmen. Er erstarrte. Ihm wurde schlagartig bewusst, dass die
Lage mehr als missverständlich war. SchlieÃlich stand er mitten in einem
aufgebrochenen Pensionszimmer, mit Latexhandschuhen und einem Werkzeugkoffer.
Die Stimmen wurden lauter. Dann hörte er unter sich eine Treppenstufe knarren.
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Anke folgte den anderen durch das enge Treppenhaus.
Nachdem sie den Aufenthaltsort von Bernd Neubauer herausgefunden hatte, war
alles ganz schnell gegangen. Sie hatte sich gemeinsam mit Kathrin und Lohmann
auf den Weg gemacht, um Neubauer festzusetzen. Die Pension Berlin lag direkt gegenüber
vom Kink Klub.
Im Wagen vor der Pension hatte Anke laut darüber
nachgedacht, ob sie nicht besser Verstärkung holen sollten, um Neubauer zur
Vernehmung mitzunehmen. »Wir sind zu dritt, und Neubauer ist ein alter Mann«,
hatte Kathrin jedoch gesagt. »Da würden wir uns nur lächerlich machen. Du
kannst ja deine Weste anziehen, wenn du dich dann besser fühlst.«
Anke hatte darauf nichts geantwortet. Typisch Kathrin.
Dann eben keine Verstärkung. Unten im Ladenlokal trafen sie auf den Verwalter
der Pension, einen dicken und ungesund aussehenden Mann, der sie zu den Zimmern
führte.
»Herr Neubauer wohnt in Zimmer zehn«, sagte er, während
sie durchs Treppenhaus stiefelten. »Hier im ersten Stock, wir sind gleich da.«
Es waren nur ein paar Stufen, doch er geriet bereits
ins Schnaufen.
»Ich kann Sie da aber nicht einfach so reinlassen.
Wenn Herr Neubauer nicht da ist, brauche ich was Schriftliches. Am besten einen
Durchsuchungsbeschluss.«
»Ja, ja«, kam es von Kathrin. »Zeigen Sie uns erst
mal, wo es ist.«
Im ersten Stockwerk angekommen, sah Anke auf den
ersten Blick, dass eine der Türen nur angelehnt war. Die mit der Zimmernummer
zehn.
Kathrin und
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