Todesgier - Thriller
die Straße in Richtung Hügel und Cedar. »Woher hast du den Namen Tiara?«
»Von Randy. Er meint, fürs Geschäft bräuchte ich einen besseren Namen als Juliet. Er findet Juliet altmodisch.«
»Ach was!«, erwiderte Letty. »Juliet ist ein toller Name. Kennst du den Song ›Romeo and Juliet‹? Mein Dad hat ihn auf seinem iPod, ist von einer alten Band, ich glaub, von den Dire Straits. Sagt dir nichts? Ich nehm ihn dir auf…«
Schon als Kind hatte Letty eine ganze Reihe nützlicher Dinge gelernt. Zum Beispiel nahm sie gesellschaftliche Unterschiede sehr genau wahr. Sie erkannte sofort, wer reich oder arm, clever oder dumm war, wer Erfolg hatte und wer versagte. Und sie hielt immer emotionale Distanz zu den Menschen, mit denen sie zu tun hatte, die Distanz der Beobachterin. Jennifer Carey, die ihr in dieser Hinsicht ähnlich war, hatte Letty gesagt: »Du könntest eine tolle Journalistin werden, denn du bist klug und hast eine gute Beobachtungsgabe.«
Letty wusste genau, wie sie auf andere wirkte: wie ein reiches, beliebtes Highschool-Mädchen. Diesen Look kultivierte sie, wenn sie fürs Fernsehen unterwegs war. Doch sie konnte auch wie ein dummer, fauler Teenager aussehen. Manchmal übte sie das sogar zu Hause.
Heute trug sie Designer-Jeans, und ihre Bluse stammte aus einer teuren Boutique, nicht von Macy’s. Ihre coolen, olivgrünen Sneakers hatten rostrote Schnürsenkel; ihre kleine, ovale Sonnenbrille glitzerte. Ihre Wirkung sah sie in Juliets Blick - die Freude darüber, mit einem reichen, beliebten Mädchen Arm in Arm zu gehen.
Sie brachte Juliet dazu, über Künstlernamen und Klamotten und schließlich über Randy zu sprechen. Am Ende fragte Juliet Letty, ohne den Arm von ihr zu lösen: »Weißt du, was ich tue?«
Letty schenkte ihr ein weiteres Fernsehlächeln. »Ja.«
Juliet zog die Hand aus Lettys Armbeuge und verlangsamte ihre Schritte. »Willst du mich deswegen ins Fernsehen bringen?«
»Nein. Das würde dir nur Schwierigkeiten bereiten. Ich möchte dir lediglich beweisen, dass ich tatsächlich fürs Fernsehen arbeite.«
»Warum?«
»Weil ich mich um dich sorge. Wie alt bist du eigentlich?«
»Sechzehn. Fast siebzehn.«
Das überraschte Letty. Juliet sah älter aus. »Wie lange machst du das schon?«
»Vier Monate.«
»Du lieber Himmel«, erwiderte Letty mitfühlend. »Ich frage mich, was Randy mit dir vorhat. Wenn er mich so behandeln würde … Mein Vater würde ihn wahrscheinlich umbringen, wenn er’s rausfände. Randy ist strohdumm.«
»So dumm auch wieder nicht«, widersprach Juliet.
»O doch. Meinst du, er würde in einer solchen Bruchbude leben, wenn er clever wäre? Oder hätte vier oder fünf Mal gesessen? Er ist noch nicht mal dreißig, oder?«
»Vierundzwanzig.«
Letty hob die Augenbrauen. »Juliet, er kann nicht vierundzwanzig sein. Wirf mal einen Blick in seinen Pass, wenn er nicht da ist. Er ist fast dreißig. Er lügt wie gedruckt.«
Juliet blickte voller Angst den Hügel hinauf. »Er lügt nicht immer …«
»Doch. So verdient er sich seinen Lebensunterhalt. Mit Lügen.«
Juliet senkte den Blick. »Wenn du meinst.«
Letty sah sie einen Moment lang an, bevor sie sagte: »Schau, da kommt der Wagen vom Fernsehen.«
»Ich kann nicht mitfahren«, erklärte Juliet.
»Musst du arbeiten?«, wollte Letty wissen.
Juliet wandte den Blick ab. »Ja.«
»Wie viel kriegst du dafür?«
»Hundert.«
»Hundert? Jedes Mal?«
»Nicht jedes Mal, obwohl Randy das möchte. Manchmal, wenn ich nicht …«
»Ich hab den Stock gesehen. Ich war in eurem Haus.«
»Was?«
»Ich hab den Stock gesehen«, wiederholte Letty.
Da erreichte sie der Van, und Lois öffnete das Fenster. »Was ist los?«, fragte sie mit einem Blick auf Juliet.
»Ich würde gern eine Weile herumfahren und Juliet die Ausrüstung zeigen«, antwortete Letty. »Und ich möchte mir Geld leihen.«
ZEHN
L ucas rief Jones an, den Polizisten aus Minneapolis: »Ich muss ein zweites Mal mit den Überfallenen reden, so bald wie möglich. Hoffentlich ist noch keiner von ihnen abgereist.«
»Nein, nein. Was ist los?« Lucas erzählte ihm von dem Mord an Charles Dee. Jones sagte: »Wilson ist nach wie vor im Krankenhaus. Wir könnten uns dort treffen. Und was die Tour durch die Hotels angeht: Die hat nichts ergeben.«
»Das liegt daran, dass sie in Hudson waren. Wie schnell können wir die Leute zusammentrommeln?«
»Ziemlich schnell, denke ich. Die Sache mit Dee, Mann - ich hatte gehört, dass es jemanden
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