Todesgott
hängendem Kopf.
»Apropos nette Mädchen«, ergreife ich die Gelegenheit. »Ich wusste nicht, dass du Sólrún Bjarkadóttir gekannt hast.«
Er antwortet nicht, zumal es sich ja auch kaum um eine Frage handelte.
Ich versuche, mich klarer auszudrücken. »Ihr müsst euch sehr nahegestanden haben. Dein Nachruf war wirklich schön.«
Er schaut mich an. »Woher weißt du, dass ich den Nachruf geschrieben habe?«
Ich zucke die Achseln, weiß es ja im Grunde wirklich nicht.
»Wir haben uns gut gekannt«, sagt er dann.
Wir stehen uns immer noch im Flur gegenüber. Das tun wir auch, wenn man zur Seite schaut, denn am Ende der langen Wand gegenüber der Wohnungstür hängt ein Spiegel.
Rúnar geht vor mir her in ein riesiges, lichtdurchflutetes Wohnzimmer mit weißgestrichenen Wänden und Parkettboden. Helle, fragile Möbel, hohe Fenster und an den Wänden alte Bilder von verschiedenen Orten im Nordland und in Akureyri. Darunter ist auch ein Bild von Hólar im Hjaltatal.
»Wahnsinn«, sage ich verdutzt.
»Ja«, entgegnet Rúnar, »das ist eine nette Wohnung.«
Ich kann mich nicht beherrschen zu fragen: »Sind eure Eltern wohlhabend?«
Er schüttelt den Kopf. »Überhaupt nicht.«
»Wie konnte Skarphéðinn sich denn eine so große, schicke Wohnung leisten?«
Jetzt zuckt er mit den Schultern. »Sie gehört seinem Freund.«
»Meinst du Gunnar Njálsson?«
»Er ist nach Reyðargerði gezogen und hat Skarpi angeboten, hier zu wohnen, solange er weg ist.«
»Hm, Skarpi. Du bist der Einzige, der diesen Spitznamen benutzt. Wurde er so genannt?«
»Nur von mir und unseren Eltern.«
»Und Gunnar erlaubt dir jetzt, hier einzuziehen?«
Er nickt. »Bis er zurückkommt.«
»Wohnt er nur vorübergehend in Reyðargerði?«
»Ich weiß nicht, wie lange er da bleiben will.«
»Er muss ja ziemlich viel Geld haben.«
»Anscheinend«, sagt Rúnar, der nicht gerade sehr gesprächig ist.
»Gehört Gunnar die komplette Einrichtung?«, frage ich.
»Alles, außer den Bildern«, antwortet er. »Die gehören Skarpi. Gehörten …«, korrigiert er sich. »Gunnar hatte moderne Gemälde an den Wänden.«
Ich wandere durch den Raum. Es gibt keine Bücherregale, aber einen riesigen Fernseher mit einem imposanten Breitformatbildschirm.
Das Wohnzimmer geht in ein ebenso großes Esszimmer mit einem hellen Holztisch, acht Stühlen und einem riesigen Flaschen- und Gläserschrank im selben Stil über. Von dort gelangt man in eine modern eingerichtete Küche, die halb so groß ist wie das Wohnzimmer. Zwischen Küche und Esszimmer gibt es noch zwei Türen, eine führt zum Badezimmer und eine zum Dachboden.
»Darf ich mal hochgehen?«
Rúnar tritt zu mir. Er zögert einen Augenblick, steigt dann aber vor mir die Treppe hinauf. Er scheint es nicht freiwillig zu tun, sondern weil ich es will. Er nimmt mir gegenüber eine passive Rolle ein. Aber es wäre bestimmt übertrieben, aus seiner Passivität weitreichende Schlüsse zu ziehen.
Oben brennt Licht. Am einen Ende des langen, holzverkleideten Dachbodens befindet sich eine gemütliche Schlafnische mit einem großen Himmelbett und am anderen Ende unter dem Mansardenfenster eine Arbeitsecke mit Computer, Drucker, einem mit Papieren beladenen Schreibtisch, Bücherstapeln, Stereoanlage und CD -Regalen. Mir fallen der altmodische Plattenspieler auf dem CD -Player und die Schallplatten auf, die in einem alten hölzernen Wasserkasten mit der Aufschrift
Egils
auf dem Fußboden stehen.
Hier sieht es vollkommen anders aus als unten im hellen Wohnzimmer. Das Licht ist gedämpft und die Atmosphäre irgendwie altmodischer und dichter.
»Ich nehme an, dass Skarphéðinn dieses Zimmer nach seinem eigenen Geschmack eingerichtet hat?«
»Ja. Das ist eher sein Stil.«
»Du musst nicht hierbleiben. Ich möchte mich nur ganz kurz umsehen.«
Er zögert, wirkt dann aber erleichtert. »Alles klar«, sagt er und stiefelt wieder die Treppe hinunter.
Ich warte einen Moment, gehe dann zum Schreibtisch und werfe einen Blick auf die Papiere, die zuoberst liegen. Es sind alle möglichen Notizen für Aufsätze oder Abhandlungen. Ein Blatt ist mit dem folgenden Text bedruckt:
Kinder, die dem ständigen Einfluss von Kino, Fernsehen, Computerspielen und zunehmenden Nachrichten über Gewaltverbrechen aller nur erdenklichen Art – Mord, Verstümmelungen, Vergewaltigungen – ausgesetzt sind, werden früher oder später die damit einhergehenden Auswirkungen zu spüren bekommen. Die Art dieser Auswirkungen hängt
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