Todesgott
Hauptrolle gespielt.«
»Ja, hat er.«
»Wollte Skarphéðinn immer überall die Hauptrolle spielen?« Ich richte mich mit dem Video in der Hand wieder auf.
Rúnar sagt ein paar Sekunden lang nichts. »Er musste es nicht wollen. Er hat’s einfach gemacht. Alle wollten, dass er das macht.«
»Stimmt. Ein geborener Anführer.«
»Ja, das war er.«
»Und wollte er richtig berühmt werden?«
Er sagt nichts.
»Soweit ich weiß, wurde das Handy deines Bruders nicht gefunden. Wo könnte es wohl sein?«, frage ich, wieder vor dem TV -Regal hockend.
»Skarphéðinn hatte kein Handy.«
»Ach ja, das hab ich auch schon gehört. Sag mal, könntest du mir vielleicht
Ritter der Straße
ausleihen? Ich würde den gerne noch mal sehen.«
»Meinetwegen.«
»Ich gebe ihn dir auch ganz bestimmt schnell zurück.«
Rauchend gehe ich zur Tür. »Vielen Dank, dass ich die Wohnung sehen durfte.«
»Ich dachte, du wolltest mit mir über Skarphéðinn reden«, erwidert Rúnar.
»Ja, unbedingt«, entgegne ich, »aber nicht jetzt. Ich hab eine anstrengende Nacht hinter mir und bin total fertig.«
»Und das alles wegen mir?«
»Na ja, das sind wirklich ziemliche Idioten. Besser, sie belästigen mich als dich. Du hast ja viel zu tun. Musst Hausarbeiten schreiben, und die Prüfungen fangen bald an.«
»Hm«, sagt Rúnar abwesend. »Unter diesen Umständen ist es ziemlich schwierig, sich aufs Lernen zu konzentrieren. Aber hier hab ich ja meine Ruhe.«
»Interessierst du dich auch so sehr für Soziologie und Geschichte wie Skarphéðinn?«
»Ja.«
»Trittst in seine Fußspuren?«
Er sagt nichts.
»Ja, das ist alles sehr tragisch. Unbeschreiblich tragisch.«
Kjartan Arnarson ist äußerst freundlich, als ich ihn am Abend anrufe, aber auch sehr ernst.
»Du hast mir ja erzählt, dass Sólrún nach dem Vorfall mit der Frage des Tages ziemlich am Boden war. Aber hat diese Sache sie denn wirklich so sehr mitgenommen?«
»Nicht direkt. Ich weiß natürlich nicht genau, wie sie sich gefühlt hat, aber ich hab gehört, Skarphéðinns Tod habe ihr sehr zugesetzt.«
»Ich verstehe. Wegen seines Bruders Rúnar.«
»Nein, wegen Skarphéðinn.«
»Wegen Skarphéðinn?«
»Ja, sie hat ihn wohl sehr geliebt und bewundert.«
Jetzt verstehe ich wieder einmal gar nichts mehr. »Aber standen sie und Rúnar sich nicht viel näher?«
»Sie waren gute Freunde, soweit ich weiß. Aber das Problem war der ältere Bruder.«
»Aha«, ist das Einzige, was ich herausbringe.
»Sólrúns Freundinnen haben wohl erzählt«, fährt Kjartan fort, »diese Freundinnen, die dabei waren, als du ihr die Frage gestellt hast, und die wohl nicht die beste Gesellschaft für empfindsame Gemüter sind … dass dieser Witz mit dem Schwanz ihre Art gewesen sei, Skarphéðinns Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. Ein schwacher Versuch, ihn in der Öffentlichkeit eifersüchtig zu machen.«
»Aha«, sage ich noch einmal.
Er schweigt. »Ich weiß auch nicht«, sagt er dann. »Das ist alles sehr merkwürdig. Merkwürdig und kompliziert.«
Ganz deiner Meinung, denke ich. »Du unterrichtest Rúnar, nicht wahr?«
»Ja, er ist in der elften Klasse.«
»Sind die Brüder sich ähnlich?«
»Sie sind beide sehr begabt. Aber der Ältere war extrem extrovertiert, und der Jüngere ist eher introvertiert. Rúnar wirkt auf mich sehr schwermütig.«
»Vielleicht, weil sein Bruder so erfolgreich und beliebt war?«
»Vielleicht. Vielleicht aber auch aus einem ganz anderen Grund.«
Nachdem ich zu Hause im Wohnzimmer gemeinsam mit Snælda noch einmal
Ritter der Straße
angeschaut habe, sind meine Kraftreserven erschöpft. Aber aufgrund der Gewissheit, die zuvor nur eine vage Ahnung war, dass ich noch mehr Gesichter in dem Film kenne als Skarphéðinn und Örvar Páll, bin ich um Mitternacht immer noch wach. Der Name Sólrún Bjarkadóttir erscheint im Abspann bei den Nebenrollen. Sie ist eine stumme Statistin in der Gruppe der Mädchen, mit der sich die Hauptperson, die Prinzessin aus reicher Familie, gespielt von der verstorbenen Inga Lína, umgibt. Sólrún ist schlanker und ihr hübsches Gesicht kindlicher als bei unserem Zusammentreffen. In den wenigen Szenen, in denen sie auftaucht, scheint sie durch übertriebene Gestik und Mimik Aufmerksamkeit auf sich lenken zu wollen. Ohne Erlaubnis sagen zu wollen: Hier bin ich. Seht ihr mich?
Als ich gegen eins immer noch nicht eingeschlafen bin, angele ich das abgegriffene Exemplar von
Loftur, der Magier
vom Nachttisch. Ich
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