Todesgott
übernachtet.
»Ich erinnere mich dunkel«, sagt der Mann, der sich als Óskar vorstellt. »Vom
Abendblatt
, oder?«
»Genau«, sage ich, schaue mich um und spähe in den vollen Speisesaal. »Tja, hier hat sich ja seit letztem Jahr ganz schön viel verändert. Damals war außer mir so gut wie niemand hier.«
»Ja, es ist unglaublich.«
»Und du führst immer noch mit deiner Frau das Hotel, und ihr verdient endlich einen Haufen Geld?«
»Nein, leider nicht. Kannst du dich noch dran erinnern, dass wir den Laden drei Jahre lang von der Stadt gepachtet hatten? Danach haben sie den Vertrag gekündigt und das Hotel an Ásgrímur verkauft, sowohl das Haus als auch den Betrieb. Wir sind jetzt nur noch Angestellte.«
»Das ist ja unerfreulich. Gerade jetzt, wo es endlich aufwärtsgeht.«
»Es bringt nichts, sich darüber zu ärgern. Wir bekommen unser Gehalt und müssen uns keine Sorgen machen.«
»Aber die hättet ihr euch doch sowieso nicht mehr machen müssen, so wie sich die Lage entwickelt.«
Er wirkt abgeklärt und antwortet im landläufigen Slang: »So be it.« Dann fügt er lächelnd hinzu: »Wir sind zum Glück Buddhisten.«
Jóa bricht auf, um in der Stadt Fotos zu machen. Ich erzähle dem Mann von unserem Anliegen und meinem Gespräch mit dem Hauptkommissar.
»Höskuldur ist schließlich nicht umsonst Ásgrímurs Bruder«, entgegnet er, immer noch lächelnd.
Jetzt fällt mir wieder ein, an wen mich das Gesicht des Polizisten erinnert hat.
»Aber abgesehen davon ist er schon in Ordnung. Ich glaube, man sollte diese Dinge nicht so hochspielen, sonst bekommt man sie irgendwann nicht mehr in den Griff.«
»Und wie ist die Lage hier wirklich?«
»Du darfst mich nicht zitieren. Kein einziges Wort. Ich will keinen Ärger.«
»Kein Wort. Ich brauche nur Informationen.«
Er führt mich in sein Büro hinter dem Empfang. Wir setzen uns nebeneinander in zwei Sessel vor seinem Schreibtisch.
»Wenn ein multikultureller Haufen von Leuten aufeinandertrifft«, beginnt er, »Polen, Portugiesen, Chinesen, Holländer, Letten, Esten und so weiter, kann es zu einer brisanten Mischung kommen. Die Leute kommen aus ganz unterschiedlichen Kulturen, Religionen, sozialen Verhältnissen, haben einen unterschiedlichen Bildungsstand und Erfahrungshintergrund. Ganz abgesehen von der Sprache und den wenigen Kenntnissen, die sie über unsere Gesellschaft, die örtlichen Verhältnisse und das Klima haben. Das ist ja bekannt, oder zumindest sollte man es wissen. Aber die Konflikte beginnen erst, wenn die Isländer ins Spiel kommen. Das haben meine Frau und ich schon zu spüren gekriegt, lange bevor die Einwanderer kamen. Meine Frau ist Thailänderin, weißt du.«
Ich nicke. Ich war ihr gegenüber auch ein wenig voreingenommen. »Also sind die Isländer schuld an den Prügeleien am Wochenende?«
»Am Anfang ja. Jetzt nicht mehr. Nach einer gewissen Zeit sind alle angespannt, verunsichert und aufgebracht. Es schaukelt sich eben so hoch.«
»Und dann entsteht ein Molotow-Cocktail?«
»Nein nein, so schlimm ist es nicht. Noch nicht. Und hier passiert auch viel mehr Positives als Negatives.«
»Gibt es irgendwelche Gangs?«
Er schaut sich um, so als habe er Angst, belauscht zu werden. »Es gibt ein paar Typen, vielleicht vier oder fünf, die auf so was abfahren«, sagt er leise, »und die stacheln die anderen an – mit Pöbeleien, Beschimpfungen und Übergriffen. Dabei geht es meistens um Frauen oder rassistische Vorurteile. Oder um die Nationalität. Ziemlich bescheuert.«
»Sind es Isländer?«
»Na ja, die meisten sind Isländer, aber komischerweise ist einer von ihnen der Sohn eines Gastarbeiters aus irgendeinem baltischen Staat oder dem ehemaligen Jugoslawien, ich weiß nicht genau. Diese Typen bilden eine Art Gang. Unruhestifter raufen sich offenbar immer zusammen, egal, wo sie herkommen. Ich hab allerdings den Eindruck, dass ihnen die Schlägereien bei uns langweilig werden. Sie fahren ab und zu nach Akureyri und mischen die Stadt auf. Einer der Isländer ist vorletzte Nacht ziemlich übel zugerichtet worden. Ich glaube, sein bestes Stück hat ganz schön was abgekriegt.«
»Wer denn?«
»Ein Zwanzigjähriger. Agnar Hansen.«
»Ist der mit Jóhann Hansen, dem Vorsitzenden des Stadtrats, verwandt?«
»Sein Sohn. Der Junge ist Alkoholiker oder noch Schlimmeres.«
»Wo kann ich ihn finden?«
»Diese Typen hängen im Reyðin rum. Aber da werden sie bestimmt nicht mehr lange geduldet. Der Besitzer ist natürlich sauer
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