Todesgott
zur Gewalt ändern wird.«
»Klingt wie Wunschdenken«, sage ich. »Bei Gewalttätern bedeutet eine veränderte Einstellung nur eine veränderte Herangehensweise.«
»Es gibt mittlerweile eine Sondereinheit der Landespolizei, die unter dem Kommando des Bezirksrats steht«, fährt sie fort. »Die ist für schwierige Aufgaben in diesem Bereich zuständig.«
»Hm, dazu gehören auch die Großprojekte im Ostland, nicht wahr? War in diesem Zusammenhang nicht von Maßnahmen gegen organisierte Kriminalität die Rede?«
»Genau. Aber davon haben wir hier in Akureyri noch nichts gemerkt. Nicht, dass ich wüsste.«
»Gibt es Drogenbanden?«, frage ich. Auf meinem Teller liegt schon lange kein Heilbutt mehr.
Ihre rote Mähne wippt beim Nicken. »Nicht viele, aber ein paar. Es gibt leider einige Gangs junger Männer, vielleicht zehn bis fünfzehn Mann, die mit Knüppeln und Messern und manchmal sogar geladenen Pistolen durch die Straßen ziehen, sich cool geben und Schutzgelder erpressen. Es gab schon viele Verletzte, die Selbstmordrate steigt, und es ist nur eine Frage der Zeit, wann sie nicht mehr nur so tun, als ob, sondern wirklich jemanden umbringen. Die ältere Generation begreift das so langsam. Aber ich bin nicht sicher, ob die Eltern wirklich wissen, womit ihre Kinder sich beschäftigen. Und der Polizei gelingt es nicht, diese Entwicklung zu stoppen. Drogendelikte haben sich hier in den letzten Jahren verdoppelt. Für die meisten jungen Leute, auch wenn sie aus sogenannten besseren Familien kommen, eine gute Ausbildung oder einen lukrativen Job haben, sind Drogen ein fester Bestandteil der Partys am Wochenende. Genauso selbstverständlich wie für uns Wein oder Bier. Manche konsumieren schon seit Jahren Drogen.« Sie schweigt einen Moment und mustert mich. »Hast du nie getrunken?«
»Was? Doch, doch. Ich hab’s ziemlich oft probiert«, sage ich lächelnd. »Und ziemlich viel.«
»Er macht eine Pause«, wirft Jóa ein.
»Ich mache einen Selbsttest, wie lange ich von Natur aus berauscht sein kann.«
Die Frauen teilen sich eine Flasche Weißwein. Ich trinke Cola und registriere, dass ich ihre Gläser gierig anstarre. Zumindest Aðalheiðurs Glas.
»In großen Städten gibt es genau dieselben Dinge wie in kleinen Städten«, sage ich, weil mir nichts Originelleres einfällt. »Nur von allem weniger. Taschenbuchausgaben. Das gilt für Plätze, Bankgebäude, Kriminalität und Drogen. Stellt euch nur mal vor, wie die Probleme in Reyðargerði mit steigender Einwohnerzahl zunehmen werden; Drogen, Prostitution und Gewalt. Ich hab vor ein paar Tagen mit dem dortigen Hauptkommissar gesprochen – der wollte es lieber ›Aufgaben‹ nennen.«
»Ja, das hab ich in der Zeitung gelesen«, entgegnet Aðalheiður. »Klang allerdings eher wie die Beschreibung eines komplizierten Wirtschaftsdeals als eines komplizierten gesellschaftlichen Phänomens.«
»Man hört ja auch, dass sich die Großindustrie bis hier an den Eyjafjord ausbreiten will«, bemerkt Jóa.
»Oder bis nach Húsavík«, ergänzt Aðalheiður, »oder bis zum Skagafjord.«
»Wird das nicht ein Desaster?«, fragt Jóa.
»Wenn man sich Profit verspricht, ist man unersättlich«, sage ich, »und zum Teufel mit anderen Werten als schnell verdientem Geld. Zum Teufel mit der Natur.«
»Jemand hat mal gesagt, wer glaubt, man könne Glück nicht mit Geld kaufen, der wüsste nur nicht, wo er einkaufen muss«, bemerkt die Redakteurin der hiesigen Zeitung.
»Und der sollte einfach die Werbeanzeigen genauer lesen.«
»Aber wer hat schon was gegen bessere Lebensqualität? Wer lehnt schon höhere Löhne oder niedrigere Steuern ab?«
»Wenn man einen Luxus dazugewinnt, verzichtet man auf einen anderen. Ist das nicht eine Frage der Wertschätzung?«, bohre ich nach.
»Selbstverständlich«, entgegnet die Redakteurin der
Akureyri-Post
, »aber darüber gehen die Meinungen der Leute wie üblich auseinander.«
»Ist es für dich nicht schwierig, in deiner Zeitung über diese aktuellen Themen zu schreiben? In einer so kleinen Gemeinschaft darfst du es dir doch mit niemandem verscherzen. Darfst weder die Behörden noch die Anzeigenkunden mit unangenehmen Tatsachen konfrontieren.«
»Ich bin sehr vorsichtig«, antwortet sie ernst. »Die Zeitung ist meine Lebensgrundlage und die meiner beiden Kollegen. Seit sechs Jahren. Das fordert ein ziemliches Geschick.«
Das fordert Verantwortung, ohne die Wirklichkeit zu verfälschen, denke ich und zünde mir eine Zigarette an.
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