Todesgott
Hausverbot.«
»Ja, dem Chef hat der Ärger erst mal gereicht.«
»Was für ein Ärger war’s denn diesmal?«
»Aggi hat irgendwelche Typen angeheuert, um die Polen zu terrorisieren, die ihn letztes Wochenende verprügelt haben.«
»Und er selbst?«
»Er war nicht unbedingt in der Lage, Heldentaten zu vollbringen.«
»Hält er sich denn an das Hausverbot?«
Sie nickt. »Ihm bleibt keine andere Wahl. Die Jungs haben stattdessen jetzt zu Ostern zum Angriff auf Akureyri geblasen.«
»Und da sind sie immer noch, oder wie?«
»Soweit ich weiß, schon. Aggi hat lautstark verkündet, sie wären das ganze Wochenende auf dem Hlíðarfjall zum Skifahren.«
»Ich glaube, wer sich da zur Zeit dem Skisport widmet, fährt über Wiesen und Steine.«
Sie grinst. »Wenn er genug intus hat, bringt er auch das fertig. Aber dafür braucht er kein Hausverbot. Sie fahren regelmäßig nach Akureyri, um einen draufzumachen.«
»Arbeitet der gute Aggi eigentlich nicht?«
»Kommt drauf an, was man unter Arbeit versteht.«
Ich habe das Gefühl, dass meine Gesprächspartnerin einen Rückzieher macht. »Ich verspreche dir auch, dich nicht zu zitieren. Dealt er hier in der Gegend mit Drogen?«
»Das möchte ich nicht beantworten.« Elín tritt einen Schritt zurück und beginnt, Gläser zu spülen.
»Man sagt, Schweigen bedeute Zustimmung«, sage ich.
»Ja«, erwidert sie und dreht mir den Rücken zu. »Das sagt man.«
Als ich zu Jóa an den Tisch komme, ist ihr Bierglas leer und mein Kaffee kalt. Da kommt mir ein Gedanke: Wenn Aggi mit Drogen dealt, warum lässt er sich dann von seinem Vater die Zeche bezahlen?
»Aus Pessimismus wurde Optimismus. Aus Hoffnungslosigkeit wurde Hoffnung auf eine blühende Zukunft. Und nicht nur Hoffnung. Wir haben nun die feste, unumstößliche Gewissheit, dass hier in diesem Bezirk, der uns allen so sehr am Herzen liegt, der Grundstein gelegt wurde für eine blühende Zukunft, für eine prosperierende Gemeinschaft mit den finanziellen Möglichkeiten, ihren Bewohnern alle Dienstleistungen und Voraussetzungen zu bieten, die sie bisher in die Hauptstadt getrieben haben. Für unsere Kinder, Enkelkinder, Eltern, Großeltern – für uns alle! Für die Zukunft!«
Die Abgeordneten der Konservativen und der Mittepartei halten fast wortgetreu die gleiche Rede.
Erhobenen Hauptes und unter tosendem Beifall nehmen sie ihre Plätze in dem vollbesetzten Saal des Hotels Reyðargerði wieder ein. Auf dem Podium finden sich Vertreter aller Parteien sowie der Stadtratsvorsitzende Jóhann Hansen und die Bürgermeisterin Sigrún Þóroddsdóttir, die die Veranstaltung moderiert.
Vor gut einem Jahr lernte ich sie bei meiner ersten Reise nach Reyðargerði kennen. Sie scheint zugenommen zu haben und füllt ihr schwarzes Hängekleid gut aus. In der ersten Reihe sitzt ihr Onkel Ásgrímur Pétursson, souverän, im grauen Anzug mit Weste, noch hagerer und, wie mir scheint, mit noch weniger Haaren als beim letzten Mal.
Anschließend halten die Abgeordneten der Opposition, bestehend aus dem Sozialdemokratischen Bündnis, den Radikalen und der Anderen Partei, gleichlautende Reden, ungefähr so:
»Man kann die Regierungsparteien gewissermaßen zu den Projekten beglückwünschen, die derzeit voller Tatendrang im hiesigen Arbeits- und Sozialleben umgesetzt werden; Aktionismus anstelle von Stagnation. Aber, liebe Bewohner von Reyðargerði und der umliegenden Gemeinden – ist diese Freude ungetrübt? Hat sich der Arbeitsmarkt wirklich so stark entwickelt? Wurde die Abwanderung nach Reykjavík gestoppt oder gar rückgängig gemacht? Kommen die millionenschweren Kredite dem Ort selbst zugute? Werden sie das jemals tun? Die Antwort lautet nein, nein und nochmals nein. Und zu allem Überfluss werden wir jetzt auch noch mit den unvorhersehbaren Folgen einer vollkommen falschen Regionalentwicklung konfrontiert, die von umweltverschmutzender Großindustrie und Kraftwerkprojekten abhängig ist und die größte Naturzerstörung in der Geschichte unseres Landes mit sich führt. Phantasielosigkeit, Engstirnigkeit, Kurzsichtigkeit und Profitdenken sind die Antworten der Regierungspolitik auf die Probleme dieser Ortschaft. Nicht anders als in vielen anderen Orten, die der Konkurrenz in der isländischen Siedlungsentwicklung nicht standhalten konnten.«
Und so weiter. Und so weiter. Und so weiter.
Die Oppositionsvertreter bekommen für ihre Reden verschwindend geringe Zustimmung und nehmen sichtlich beschämt wieder ihre
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