Todesgott
Skarphéðinn rumgestritten. Hat sich aber schnell wieder eingekriegt.«
»Hatte Skarphéðinn irgendwelche Probleme mit seinen Eltern?«
»Nicht, dass ich wüsste«, sagt sie verwundert. »Warum glaubst du das?«
»Tja, vielleicht, weil er seit Beginn der weiterführenden Schule nicht mehr zu Hause gewohnt hat. Erst war er im Internat, und dann hat er sich im Herbst eine Wohnung gemietet.«
»Er wollte einfach unabhängig sein. So war er eben.«
»Dann möchte ich dich noch nach einer Sache fragen: Du hast mir am Telefon erzählt, dir wäre an dem Abend nichts Ungewöhnliches an Skarphéðinn aufgefallen.«
»Na und?«
»Ich hab gehört, dass er gegen zehn hierherkam …«
»Zehn oder elf. Was spielt das für eine Rolle?«
»Nein, es geht nicht um die Uhrzeit. Wenn ich das richtig verstanden habe, hatte er ein Kleid an.«
Ihre Schwermut wird auf einmal von einem nervösen Lachanfall überdeckt. »Falls du glaubst, dass das irgendwie ungewöhnlich ist«, stöhnt sie mit Tränen in den Augen, »dann nur, weil du Skarphéðinn nicht kanntest.«
»Ach ja? Trug er öfter Kleider?«
Sie greift nach einer Rolle Küchenpapier auf dem Tisch, reißt ein Blatt ab und trocknet sich die Augen. »Skarphéðinn hatte einfach Spaß am Leben. Er wollte sich immer vom Leben überraschen lassen und hat ständig andere überrascht. Er konnte auf alle möglichen Ideen kommen.«
»Er war also kein Transvestit oder so?«
Ágústa fängt beinah wieder an zu lachen. »Neihein, nicht, dass ich wüsste. Er hat immer nur gespielt.«
»Und er war nicht schwul?«
»Wie kommst du darauf?«
»Tja«, sage ich und merke, wie furchtbar altmodisch und voreingenommen ich bin, »weil er ein Kleid anhatte.«
Leichenblass und mit feuchten Augen schaut sie wieder auf den Tisch und fängt an, mit ihren Fingernägeln Dreck aus dem Spalt zwischen der Stahlkante und der Plastiktischplatte zu pulen. »Soweit ich es gesehen habe und mich erinnern kann, hatte er kein normales Kleid an.«
»Sondern?«
»Es war so ein schwarzes Gewand, eine Kutte mit einem Gürtel um die Taille.«
»Wie ein Mönch?«
»Nein, wie eine Hexe.«
Als ich im Büro eingetroffen bin, rufe ich Trausti Löve an und erkläre ihm, ich bräuchte mehr Zeit, um die letzten Stunden von Skarphéðinn Valgarðssons Erdenleben zu rekonstruieren.
Von Ágústa, die mit Sicherheit etwas zu verbergen hat, habe ich Namen und Telefonnummern der wichtigsten Mitwirkenden der Aufführung erhalten, die offenbar gleichzeitig die wichtigsten Gäste ihrer Party waren. Aber ich muss feststellen, dass dieses Puzzle nicht leicht zu lösen ist. Trausti faselt etwas Aufmunterndes, im Sinne von: »Zeig, was in dir steckt, Junge!«
Ich rufe Gunnsa an, und wir tauschen unsere österlichen Erfahrungsberichte aus.
Sie verspricht, mich an einem der kommenden Wochenenden zu besuchen, sobald wie möglich, wenn nichts dazwischenkommt.
Ich rufe Papa und Mama an.
Sie freuen sich, dass ich am Telefon aus Akureyri so gutgelaunt klinge.
Nach Ásbjörns freundlicher Vermittlung bekomme ich Ólafur Gísli gegen Abend an den Apparat.
»Klärt sich die Sache?«, frage ich.
»Teilweise. Manches auch nicht. Und bei dir?«
»Kaum. Das meiste nicht.«
»Es ist ja noch nicht aller Tage Abend.«
»Das ist wohl richtig. Soll ich versuchen, dir ein paar Fragen zu stellen?«
»Wie du willst. Oder möchtest du lieber, dass ich dir ein paar Fragen stelle?«
»Nur, wenn’s unbedingt sein muss. Steht der Todeszeitpunkt mittlerweile fest?«
»Nicht genau. Wir gehen davon aus, dass Skarphéðinn Valgarðsson zwischen drei und sechs Uhr in der Nacht zum Gründonnerstag gestorben ist.«
»Konnte jemand bestätigen, wann Skarphéðinn die Party verlassen hat?«
»In Bezug auf diese Party wird überhaupt nichts bestätigt. Sie hätte ebenso gut gar nicht stattgefunden haben können. Oder besser gesagt, bisher konnte keiner der Gäste erklären, was eigentlich dort passiert ist.«
»Habt ihr schon mit allen Gästen gesprochen?«
»Mit allen Gästen? Wie viele waren es denn? Und wer war es? Niemand konnte uns darüber einen Überblick geben.«
»Ist etwas über den Zeitpunkt bekannt, wann Skarphéðinn die Party verlassen hat?«
»Noch nicht.«
»Mit wem er weggegangen ist?«
»Noch nicht.«
»Es gibt also kaum Anhaltspunkte?«
»Ja, das muss ich zugeben. Bis jetzt zumindest.«
»Zum jetzigen Stand der Ermittlungen?«
»Du sprichst mir aus der Seele.«
»Und die technische Seite? Spuren an der Leiche?
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