Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Todesgott

Todesgott

Titel: Todesgott Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Árni Thórarinsson
Vom Netzwerk:
abzukommen, leide ich unter Gefühlsmangel. Ich habe den Eindruck, weder auf dem falschen noch auf dem richtigen Weg zu sein. Irgendwie befinde ich mich im Nichts. Es geschieht nichts. Warum bringt mich nichts und niemand vom Weg ab?
    Meine trübsinnige Stimmung lässt sich an diesem Morgen durch nichts aufheitern. Noch nicht einmal durch die Sonne, die ganz plötzlich wieder den Frühling in die Innenstadt Akureyris gezaubert und fröhliche Kinder, bedächtige ältere Bürger und spärlich bekleidete Mädchen mit bauchfreien Oberteilen nach draußen gelockt hat. Mir wird klar, dass eigentlich alles in Ordnung ist. Ich langweile mich einfach. Und spüre eine Unruhe, Leere und Rastlosigkeit in mir, die ich von früher kenne und bislang immer mit Alkohol bekämpft habe. Das darf diesmal nicht die Lösung sein. Ich muss etwas anderes tun.
    Die Lösung springt mir ins Auge, als ich das Fenster zum gegenüberliegenden Hausgiebel öffne und mir eine Zigarette anzünde. Ich hole das Telefon und rufe Gunnsa an. Sie ist in der Schule.
    »Hi, Papa. Ich hab nicht viel Zeit. Die Pause ist gleich zu Ende.«
    »Wollte nur mal deine Stimme hören. Wie geht’s?«
    »Ganz gut. Nächste Woche muss ich anfangen, für die Prüfungen zu lernen.«
    »Ach ja. Wie läuft’s denn damit?«
    »Schlecht. Aber ich geb mein Bestes. Ich schaff’s schon aufs Gymnasium.«
    »Wenn dein Alter das seinerzeit geschafft hat, sollte es für dich doch kein Problem sein!«
    Ich höre, wie sie lächelt. Das tut mir ausgesprochen gut.
    »Und was macht Raggi?«, frage ich.
    »Dasselbe. Bei ihm läuft’s einwandfrei. Wir lernen zusammen, wenn möglich.«
    »Gut, gut. Aber das bedeutet bestimmt, dass du in der nächsten Zeit nicht herkommen kannst?«
    »Nein, erst nach den Prüfungen. Aber dann komme ich bestimmt. Versprochen.«
    »Danke, Gunnsa. Du hast meinen Tag gerettet.«
     
    Das hat sie wirklich. Ich erledige ein paar Telefonate für die Tagesmeldungen. Dann rufe ich Trausti Löve an und beschließe, ihm ganz im Sinne meiner neugewonnenen Zuversicht entgegenzutreten.
    »Grüß dich, mein lieber Trausti.«
    »Wer ist da?«
    »Dein Freund Einar natürlich. Einar aus Akureyri.«
    »Und zwar ziemlich angeheitert, wie mir scheint.«
    »Warum sagst du das?«
    »Tja, du klingst ganz anders als sonst. Zumindest anders als in der letzten Zeit.«
    »Darf man nicht mal freundlich zu seinem Chef sein, ohne direkt der Trunksucht bezichtigt zu werden?«
    Trausti weiß nicht, wie er darauf reagieren soll.
    »Ich wollte dir nur Bescheid sagen, dass ich ein paar Meldungen geschickt habe. Du hast dich doch über das Nachrichtenloch beschwert, nicht wahr?«
    »Was? Ja.«
    »Außerdem möchte ich, dass du weißt, Trausti, dass ich für dich und die Belange der Zeitung alles gebe.«
    »Bist du sicher, dass du nicht betrunken bist?«
    »Das ist das Einzige, dessen ich mir sicher bin.«
    Er schweigt.
    »Ich bin lediglich trunken von Nächstenliebe und positiver Lebenseinstellung.«
    »Und du denkst dran, am Montag die Frage des Tages zu schicken?«
    »Und ob! Und sogar mehr als das!«
    »Ach? Was denn?«
    »Ich schicke dir auch die Antworten!«
    »Gut.«
    »Ja, findest du das nicht gut? Großartig, oder?«
    Er weiß nicht, was er sagen soll.
    »Und nun, lieber Trausti, wünsche ich dir ein schönes Wochenende in Gesellschaft schöner Frauen und sauteuren Champagners.«
    »Danke«, sagt er kurz angebunden. »Und fuck you too.« Dann legt er auf.
    Wie eigenwillig, undankbar und überheblich die Leute doch sein können.
     
    Nach meiner täglichen Übung in christlicher Nächstenliebe gehe ich hinaus in die Sonne, setze mich gegenüber von unserer Filiale ins Café Amor und bestelle mir an einem Tisch auf dem Gehsteig einen Cappuccino. Dort schlendern sie vorbei, die Schätzchen, mit ihren Kinderwagen und bauchfreien Oberteilen, ob sie es sich nun leisten können oder nicht. Schau dir meinen niedlichen Bauchnabel an, biiiiitte!
    Nachdem die Jungs ihre Hosen nicht mehr über die Unterwäsche bis in die Kniekehlen rutschen lassen, haben die Modezaren die Mädchen davon überzeugt, dass sie nun an der Reihe sind.
    Und so geht es weiter bis ins Unendliche.
    Irgendwann vor langer Zeit bin auch ich mit der Mode gegangen. Heute geht sie nicht mehr mit mir.
    Wie ist es nur möglich, Mädchen glauben zu machen, ein Rettungsring aus nacktem Fett über dem Gürtel sei sexy? Es kann niedlich oder ungezwungen oder ein Beweis dafür sein, dass wir alle einen Bauch besitzen – aber sexy?

Weitere Kostenlose Bücher