Todeshaus am Deich
der
Tote, den man uns gemeldet hat, nicht zu schwer auf dem Magen liegen«, erklärte
der Anrufer. »Wir haben eine Nachricht von einem ungeklärten Todesfall aus
Finkhaushalligkoog bekommen.«
»Doch nicht von der
Hauke-Haien-Residenz?« Christoph schwante Böses.
»Leider doch«,
erwiderte der Beamte aus der Zentrale. »Eine Schwester Dagmar, so nannte sich
die Anruferin, hat uns verständigt. Mehr wissen wir auch noch nicht. Die
Streife ist unterwegs. Ich dachte, es wäre für Sie wichtig. Deshalb habe ich
Sie zu Hause gestört«, entschuldigte sich der Kollege.
Christoph ließ das
angebrochene Frühstück stehen, warf seine Windjacke über, griff sich den
Aktenkoffer und verließ sein kleines Apartment. Sein stilles Flehen wurde nicht
erhöht. Er hatte noch nicht den unteren Treppenabsatz erreicht, als sich die
Tür seiner Vermieterin öffnete.
»Moin, Herr
Johannes«, begrüßte sie ihn. »Ist das nicht ein schöner Tag heute?« Sie sah,
dass Christoph seinen Autoschlüssel in den Händen hielt. »Sie wollen bei
solchem Wetter doch nicht etwa mit dem Auto fahren? Genießen Sie den
Spaziergang durch den Schlosspark. Das ist doch viel gesünder für jemanden wie
Sie, der oft ganze Nächte nicht zu Hause ist.«
Mit einem
schmalsilbigen »Moin« stürzte Christoph erklärungslos an ihr vorbei.
»Aber Herr
Johannes?«, hörte er ihre empörte Stimme hinter seinem Rücken.
Was hat es nur mit
diesem Altersheim auf sich?, dachte er unterwegs. Was für merkwürdige Dinge
gehen dort vor, dass sich die Todesfälle häufen? Wer war diesmal das Opfer? Vor
seinem geistigen Auge ließ er die Bewohner Revue passieren, die er kannte. Der
Kapitän? Harry Seelig? Kubelka? Einer der anderen, denen er begegnet war? Immer
wieder kehrten seine Gedanken zu seinem gestrigen Deichspaziergang mit von
Hasenteuffel zurück. Die Unterredung hatte Christoph keine neuen Erkenntnisse,
aber viele weitere Fragen gebracht. Wer war dieser Mann? Und wie konnte er eine
Antwort auf diese Frage finden?
Direkt vor dem
Eingang standen der Notarztwagen und das Fahrzeug der Streife. Eine aufgeregte
Schar von Heimbewohnern blockierte das Foyer. Inmitten der Neugierigen
entdeckte Christoph Harry Seelig. Seinen ewigen Zwilling, den alten Kapitän
Thordsen, konnte er nicht sehen.
Unschlüssig blieb er
am Fuß der Treppe stehen, nachdem man ihm eine Gasse geräumt hatte.
»Da! Oben«, zeigte
eine alte Frau mit zahnlosem Mund ins Obergeschoss.
Dann sah er die
Trage des Rettungsdienstes und medizinisches Gerät, das auf dem Flur stand. Aus
der offenen Zimmertür drangen Stimmen auf den Korridor.
Das kann nicht wahr
sein, dachte Christoph, als er erkannte, dass die Ansammlung vor dem Apartment
des Barons stand.
In der Tür stieß er mit
dem Notarzt zusammen, den er vom Ansehen her kannte.
»Ach, die Polizei«,
sagte der Doktor. »Kommen Sie jetzt zu jedem Todesfall im Husumer Umland?« Sein
Gesicht zeigte den Anflug eines Lächelns. »Hier liegt ein Herzversagen vor. Das
kann bei älteren Leuten schon einmal passieren.«
»Wie kommen Sie zu
dieser Vermutung?«, fragte Christoph.
»Tja, man hat so
seine Erfahrung. Schönen Tag noch.« Der Arzt drehte sich zu den beiden
Rettungsassistenten um, die hinter ihm standen. »Kommt ihr, Jungs?«
Oberschwester Dagmar
stand im Zimmer, neben ihr Broder Brodersen. Die beiden Streifenpolizisten
hielten sich im Hintergrund.
»Was wollen Sie
hier?«, bölkte der Heimleiter los, als er Christoph sah. »Wer hat Sie überhaupt
bestellt?«
»Wir kommen auch
ohne Einladung«, erwiderte Christoph.
»Von wem wissen Sie
das?«, fragte Brodersen und zeigte mit ausgestrecktem Finger auf Freiherrn
Adolf Wilhelm von Hasenteuffel-Stichnoth, der mit geschlossenen Augen in seinem
Bett lag, die Decke bis unters Kinn gezogen und die Hände vor der Brust
gefaltet. Er hatte die Augen geschlossen und machte einen friedlichen Eindruck.
Es sah aus, als schliefe er und würde sich durch den Aufruhr in seinem Zimmer
nicht aus der Ruhe bringen lassen.
»Wer hat den Toten
entdeckt?«, wandte sich Christoph an Oberschwester Dagmar.
»Das geht Sie gar
nichts an«, fuhr Brodersen erregt dazwischen. »Ich erteile Ihnen Hausverbot.
Verlassen Sie sofort die Seniorenresidenz. Und dann will ich wissen, wer Sie
hergeholt hat.«
Christoph machte
einen Schritt auf den aufgebrachten Mann zu. Im Stillen stellte er sich vor,
wie Große Jäger jetzt reagiert hätte.
»Dieses ist ein
Tatort. Insoweit ruht Ihr Hausrecht. Und wenn Sie nicht
Weitere Kostenlose Bücher