Todeshaus am Deich
vorab
einen kurzen Bericht über die Autopsie von Trude Beckerling. Ich war mir nicht
sicher, ob ich Sie schon anrufen sollte, da wir trotz größtmöglicher
Anstrengung noch nicht alle Ergebnisse vorliegen haben. Ich weiß auch nicht,
weshalb wir uns hier in Kiel immer wieder ein Bein ausreißen, um Sie bevorzugt
zu bedienen. Ich hoffe, Sie wissen es zu würdigen, dass wir stets sehr zügig
und außerhalb des normalen Dienstablaufs für …«
»Liebe Frau Dr. Braun«, unterbrach Christoph die bei
der ganzen Landespolizei gefürchteten langatmigen Erklärungen der
Wissenschaftlerin vom Landeskriminalamt. »Wenn es nicht Beamtenbestechung wäre,
würde ich mich ja gern bei Ihnen mit einem großen Blumenstrauß bedanken.«
Einen Augenblick herrschte verblüfftes Schweigen in
der Leitung, bevor Dr. Braun antwortete: »Wären wir nicht um eine ernsthafte
Sache bemüht und bei einer Landesbehörde, würde ich fast vermuten, Sie wollen
mich auf den Arm nehmen.«
Christoph sah, wie Große Jäger die Wangen aufpustete
und mit beiden Armen die Geste des Kinderwiegens vollführte.
»Das würde nie jemand wagen«, sagte er. »Aber Sie
wollten mir vorab mitteilen, was die Autopsie bei Frau Beckerling ergeben hat.«
»Wie ich schon sagte, wir sind noch nicht ganz fertig.
Es fehlen noch die Ergebnisse der toxikologischen Feinanalyse, obwohl es nach
dem ersten Anschein keine hinreichenden Verdachtsmomente gegeben hat. Wir sind
der …«
»… Meinung, dass die Frau an akutem Nierenversagen
gestorben ist«, unterbrach Christoph sie.
»Nein, wie kommen Sie darauf? Das ist mehr als
laienhaft ausgedrückt. Die Nieren waren schon lange funktionsunfähig.
Krankheitsbedingt. Ich erläutere Ihnen einmal die Zusammenhänge.«
»Liebe Frau Dr. Braun. Im Moment würde es mir reichen,
wenn Sie mir sagen, ob die Frau daran gestorben ist, dass sie nicht zur Dialyse
gegangen ist.«
Die Wissenschaftlerin holte hörbar Luft.
»Wenn Sie es auf eine solch einfache Formel reduzieren
möchten: Also bitte. Ja, das war der Auslöser für den Tod. Medizinisch gesehen
ist in einem solchen Fall aber …«
»Niemand wird Ihren sachverständigen Befund in Zweifel
ziehen, den wir wie immer sorgfältig durchlesen werden. Haben Sie noch einen
Verdacht hinsichtlich der Blutuntersuchung?«
»Die Frau hatte Beruhigungs- und Schlafmittel im Blut.
Allgemein zugängliche Mittel in einem normalen Rahmen. Jedenfalls waren diese
Medikamente eindeutig nicht die Todesursache. Sie ist damit nur ruhiggestellt
worden. Allerdings kann sie die Arzneien auch selbst eingenommen haben. Das zu
prüfen kann nun wirklich nicht unsere Aufgabe sein. Wir sind wahrlich schon mit
anderen Aufgaben mehr als ausgelastet. Ich …«
»Wenn wir Sie nicht hätten, liebe Frau Dr. Braun,
wüssten wir gar nicht, wie wir unsere Arbeit hier in Nordfriesland verrichten
sollen«, schmeichelte ihr Christoph und verabschiedete sich.
Die Wolken waren nun ganz zugezogen. Außerdem brach
die Dämmerung herein. Christoph sah auf die Uhr. Wieder war ein Tag vergangen,
der sie nur unwesentlich weitergebracht hatte. Noch trauriger war, dass sie
Thorben Althoff immer noch nicht gefunden hatten und in der Universitätsklinik
Münster ein kleiner Junge dringend auf die Knochenmarkspende wartete.
ACHT
Christoph sah
versonnen seiner Hand nach, die den Teebeutel hielt, den er durch das heiße
Wasser zog. Wie gut, dass Mommsen mich nicht beobachtet, dachte Christoph. Dass
ich mir morgens einen Beutel mit Pfefferminztee aufbrühe, würde er nicht
verstehen, weil wir beide uns im Büro konsequent hinter der Maske des
Teekenners verbergen, die über in Beutel abgefüllte Blätter nur die Nase
rümpfen.
Obwohl Christoph zu
den Zeitgenossen gehörte, die morgens gern eine Stunde für Dusche und
Körperpflege einschließlich Rasur und ein kleines Frühstück opferten, war das
Knäckebrot mit Käse, das vor ihm stand, eher mager.
Er hatte gut zwei
Drittel des Dauergebäcks vertilgt und ein paar Schlucke aus seinem
»Guten-Morgen-Becher« bereits hinuntergeschluckt, als ihn sein Handy aus
nachhängenden Träumen riss, die ihn mit unbestimmtem Ziel ins Nirgendwo geführt
hatten.
»Moin«, meldete sich
eine trotz der frühen Stunde gut gelaunte Männerstimme. Es war der Kollege in
der Zentrale der Polizeidirektion. »Ich hoffe, Sie haben schon gefrühstückt?«
»Ich bin gerade
dabei«, erwiderte Christoph. Wenn man ihn zu Hause anrief, verhieß es im
Allgemeinen nichts Gutes.
»Dann wird Ihnen
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