Todeshaus am Deich
der Flensburger Datei hat sie nur einen Punkt.
Sie ist geschieden und hat einen elfjährigen Sohn, der aber seit sechs Jahren
beim Vater lebt, der wieder verheiratet ist. Das Kind wird bei der Mutter so
gut wie nie gesehen. Ihren Unterhaltsverpflichtungen kommt sie offenbar nach,
denn es gibt keinerlei Beschwerden gegen sie. Saskia Willich arbeitet als
Angestellte beim Finanzamt.«
»Sie ist nicht beamtet?«, warf Große Jäger ein.
Mommsen schüttelte den Kopf. »Nein. Sie ist aber schon
fast zwanzig Jahre bei der Behörde beschäftigt. Was sie vorher gemacht hat,
weiß ich nicht. Sie stammt aus Eckernförde, lebt aber, seitdem sie beim
Finanzamt arbeitet, in Husum und wohnt seit ihrer Scheidung in der
Kreuzerstraße, dort, wo wir ihre Tante gefunden haben. Sie führt ein
unauffälliges Leben.«
»Wie sieht es mit ihren Finanzen aus?«, fragte
Christoph.
»Wie bei Millionen anderer Menschen. Auch in dieser
Hinsicht ist sie unauffällig. Sie hat offensichtlich ein permanent überzogenes
Girokonto und zwei kleinere Konsumentenkredite, die regelmäßig bedient und
getilgt werden.«
»Männer?«
»Keine bekannte feste Beziehung. Nun ja, da sie
niemandem verantwortlich ist, nimmt keiner Anstoß daran, dass sie gelegentlich
von jemandem nach Hause begleitet wird. Das ist aber nicht regelmäßig der Fall.
Auch in diesem Punkt ist sie unauffällig.«
»Hast du gefragt, ob unter den Männern, in deren
Begleitung sie gesehen wurde, auch ältere waren?«
»Du meinst konkret von Hasenteuffel?«, fragte Mommsen.
Christoph nickte.
»Auch danach habe ich gefragt. Leider negativ. Die
Burschen waren so unscheinbar, dass sich keiner aus der Nachbarschaft an
Details erinnern konnte. Aber eine auffällige Erscheinung wie der Baron war
nicht darunter.«
»Wenn die Kerle alle so unscheinbar waren, kann es
sich nur um Kollegen aus dem Finanzamt gehandelt haben«, grunzte Große Jäger
dazwischen.
»Saskia Willich kann ja nicht nur mit so stattlichen
Typen wie dir verkehrt haben«, antwortete Christoph, um sich wieder an Mommsen
zu wenden. »Was uns am meisten interessiert: Haben wir Anhaltspunkte, wo sich
die Frau in der letzten Woche aufgehalten hat?«
Mommsen sah Christoph mit ernster Miene an. »Zu diesem
Punkt habe ich leider nichts in Erfahrung bringen können. Das ist immer noch
ein Geheimnis.«
»Warum verschweigt sie uns ihren Aufenthalt?«, fragte
Christoph.
»Entweder steckt ein Mann dahinter, dessen Identität
sie nicht preisgeben möchte – das wäre ein toller Zufall –, oder sie hat etwas
zu verbergen«, gab Große Jäger zu bedenken.
»Beides ist mysteriös«, antwortete Christoph. »Wieso
habe ich sie am Sonnabend in von Hasenteuffels Begleitung gesehen? Sie muss
doch in Husum gewesen sein. Aber wo, wenn sie angeblich nicht in ihrer eigenen
Wohnung war? Und wenn sie sich nicht in der Stadt aufgehalten hat – wie wichtig
war ihr Treffen mit dem Baron, dass sie extra deshalb nach Husum zurückgekommen
ist? Und wenn sie mit einem Mann, dem großen Unbekannten, zusammen war, weshalb
hat sie dann Urlaub beim Finanzamt genommen und ist nicht verreist? Es ist eine
der zu klärenden Fragen, weshalb die Frau in der kritischen Zeitspanne
angeblich nicht in ihrer Wohnung war.« Dann machte er eine Pause. »Ach du
Elend. Fast hätte ich vergessen, von dem Gottesgericht zu erzählen, das heute
über uns niedergegangen ist«, entfuhr es Christoph.
»Was hat der denn?«, fragte der Oberkommissar und
zeigte mit dem Daumen über die Schulter in Christophs Richtung.
»Wilderich, du darfst heute ausgiebig feiern gehen«,
klärte ihn Christoph auf. »Dein Lieblingsvorgesetzter ist befördert worden.«
Ehrliches Entsetzen zeigte sich in Große Jägers
Antlitz.
»Vor die Tür, nach Kiel oder etwa …?« Er wagte es
nicht auszusprechen.
»Letzteres«, sagte Christoph.
»O du Scheiße«, fluchte der Oberkommissar.
Christoph musste nicht lange warten. Dieser Erkenntnis
folgte umgehend das »Scheiß-Starke«.
Danach herrschte Schweigen im Raum. Eine ganze Weile
später wurde es durch das Klingeln des Telefons unterbrochen. Christoph sah auf
das Display.
»Kiel«, sagte er.
Große Jäger drehte sich zu ihm um und bedeutete
Christoph, dass er den Apparat auf Lauthören einstellen sollte. »Das ist
bestimmt die Braun«, erklärte er dabei und warf demonstrativ einen leidenden
Blick auf seine Armbanduhr.
»Hallo, Frau Dr. Braun«, begrüßte Christoph die
Anruferin.
»Hallo, Herr Johannes. Ich nehme an, Sie möchten
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