Todeshaus am Deich
jenseits dieser Welt. Im Rahmen ihrer Möglichkeiten nehmen sie daran
teil, soweit man sie lässt.«
Schwester Regina war ein wenig außer Atem gekommen.
»Das sind alles nachdenkenswerte Punkte«, sagte
Christoph vorsichtig. »Aber worin sehen Sie einen Zusammenhang mit den jüngsten
Ereignissen?«
»Nun, ja.« Regina räusperte sich. »Was ich Ihnen jetzt
erzählt habe … All das hat Herr von Hasenteuffel auch gesagt. Er hat sich
maßlos über die Unterschätzung der älteren Generation geärgert. Der Mann war
klug. Deshalb hat es ihn besonders getroffen, als seine Geschichten lächerlich
gemacht wurden.«
Christoph und Große Jäger wechselten einen raschen
Blick.
»Welche Geschichten?«
»Er hat Kurzgeschichten geschrieben. Nachdenkliche,
fast poetisch. Die hat er im Internet in einem Forum veröffentlicht, in dem
sich Interessierte zusammentun. Jeder, der etwas schreibt, darf auch die
Geschichten der anderen Mitglieder kritisieren. Da waren wohl viele Jüngere,
die ihn wegen seiner ihrer Meinung nach altertümlichen Schreibweise verspottet
haben. Das hat ihn erschüttert, dass er selbst in der Anonymität des Internets
als älterer Mann erkannt und deshalb nicht ernst genommen wurde.«
»Wissen Sie, wie das Forum heißt?«
»Irgendwas mit Kurzgeschichten.«
»Hat er da unter Pseudonym veröffentlicht?«
»Ja, ich glaube schon.«
»Unter welchem?«
Sie schüttelte bedauernd den Kopf.
»Das kann ich Ihnen nicht sagen. Irgendwas Römisches.
Schwester Regina, hat er einmal zu mir gesagt, wir Alten müssten etwas auf die
Beine stellen, um der Welt da draußen zu zeigen, dass wir nicht die Deppen der
Nation sind.«
»Was wollte er damit sagen?«
»Das weiß ich nicht. Fragen können wir ihn jetzt auch
nicht mehr. Aber vielleicht sprechen Sie mal mit Herrn Kubelka. Der war dabei,
als Herr von Hasenteuffel sich so erregt hat. Es war so ziemlich das einzige
Mal, dass Fiete Kubelka und der Baron nicht aneinandergeraten sind, sondern
einer Meinung waren.«
Christoph erwähnte noch die Geschehnisse wie das
versalzene Abendessen, den Stromausfall und Ähnliches, aber dafür hatte
Schwester Regina auch keine Erklärung. Immer noch unsicher, ob ihr Besuch bei
der Polizei richtig war, verabschiedete sie sich. Christoph begleitete sie zum
Eingang, um dort mit einem asiatisch aussehenden Mann zusammenzustoßen, der
sich suchend umblickte.
»Kann ich Ihnen behilflich sein?«, fragte Christoph.
Der Mann nickte beflissen.
»Ich möchte mit dem Jägerpolizisten mit Bauch und Bart
sprechen. Ich glaube, sie nennen ihn den Großen.«
Es dauerte einen Moment, bis Christoph verstand, dass
der Mann Große Jäger aufsuchen wollte.
»Kommen Sie mit«, bat er und führte den Besucher in
ihr Büro.
»Wilderich, du hast Besuch«, verkündete er.
Große Jäger sah auf.
»Hallo, Herr Tho«, begrüßte er den Mann. »Haben Sie
Neuigkeiten über Thorben Althoff?«
»Vielleicht. Freunde aus unserer Wohnung haben ihn
gesehen, wie Thorben über die Gleise gelaufen ist. Wir glauben, dass Thorben in
einem von den kaputten Häusern hinter den Schienen ist.« Er musterte Große
Jäger. »War das falsch, dass ich Ihnen das erzählt habe?« Der Vietnamese
klopfte sich auf die Brust. »Wir sind keine Petzer. Aber der kleine Junge
wartet auf Hilfe. Vielleicht weiß Thorben das nicht.«
Dann schüttelte Tho betrübt den Kopf. »Thorben ist
kein schlechter Mensch. Nur ein bisschen schmutzig. Brrrh!«.
Die beiden Beamten sahen sich an und lachten. Tho
konnte nicht verstehen, dass sie sich über sein rollendes »r« amüsierten,
obwohl er in seiner Aussprache einen Bogen um diesen Konsonanten machte.
»Wo soll das genau sein?«, versuchte Große Jäger zu
präzisieren.
»Weiß nicht. Wir haben nur gesehen, dass Thorben sich
da längsgeschlichen hat.«
Der Oberkommissar stand auf und drückte dem
Vietnamesen kräftig die Hand.
»Danke, Herr Tho. Sie haben uns vielleicht sehr
geholfen. Wir werden das umgehend überprüfen.«
Mit drei Verbeugungen verabschiedete sich der Mann.
Große Jäger trat an die Wandkarte und drückte seine
Nase dicht an das Papier.
»Was könnte unser Ho-Tschi-Minh gemeint haben?«,
fragte er mehr zu sich selbst. »Jenseits der Bahn liegt der Porrenkoog. Da ist
nichts. Absolut nichts. Nicht mal ‘n Knick.«
Christoph hatte sich neben ihn gestellt.
»Wenn er sich rüber zur Oldgras oder Maas versteckt hält,
würde er einen anderen Weg benutzen.« Er ließ seinen Finger über dem
Kartenausschnitt kreisen.
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