Todeshunger
Silbertablett serviert wurde und ich mir nur um meine Familie und meinen miesen Scheißjob Sorgen machen musste. Die Erinnerung daran, wer und was ich war, ist peinlich. Ich wünschte, dies wäre mir schon vor Jahren passiert.
»Wie weit?«, ruft Carol mehrere Stockwerke über uns herunter.
»Geh einfach weiter«, antworte ich. »Ich glaube, je höher wir raufsteigen, desto sicherer sind wir.«
»Halt«, ruft Keith. Ich bleibe stehen und drehe mich um. Er ist immer noch einen Stock unter mir. »Seht euch das an.«
»Was ansehen?«, keucht Paul außer Atem, zwängt sich an mir vorbei und geht wieder hinunter. Ich folge ihm zur achten Etage (von elf oder zwölf, glaube ich). Diese Etage unterscheidet sich von den anderen. Ich bin so schnell daran vorbei, dass es mir nicht aufgefallen ist, aber die Türen, die vom Treppenhaus zum Rest des Gebäudes führen, wurden vernagelt. Hier liegen jede Menge Glasscherben und sonstige Trümmer herum, aber es sieht nicht aus, als wäre diese Barriere durchbrochen worden.
»Das wurde von innen gemacht«, sagt Keith und spricht damit das Offensichtliche aus.
»Also könnte noch jemand da drin sein«, fügt Carol gleichermaßen sinnlos hinzu.
»Müssen Unveränderte sein«, sagt Paul hechelnd,
der mit den Händen über die großen Sperrholzplatten streicht, die jemand von innen an den Türrahmen genagelt hat, und dabei prüfend nach einer Schwachstelle sucht. Er findet eine in der rechten unteren Ecke, wo der Türrahmen morsch ist. Mit den Füßen scharrt er Glasscherben beiseite, dann setzt er sich hin und drückt mit dem Stiefel gegen das Brett. Als es sich ein kleines Stück bewegt, winkt er mir, dass ich ihm helfen soll. Ich begebe mich in eine Position zwischen ihm und dem Handlauf der Treppe, damit er nicht nach hinten wegrutschen kann, dann halte ich mich fest, während er auf das Holz eintritt. In der engen Umgebung hallt das Geräusch umso lauter, doch in den Augenblicken der Stille zwischen den Fußtritten bleibt alles ruhig. Kaum hat er eine Öffnung geschaffen, die groß genug ist, dreht er sich um, lässt den Rucksack fallen und kriecht hindurch. Auf der anderen Seite zerrt er an dem Sperrholz und schafft es, ein Stück von etwa einem Quadratmeter Größe abzureißen. Ich schiebe seinen Rucksack durch, dann folge ich ihm.
Wir stehen auf einem freien, vergleichsweise aufgeräumten Treppenabsatz. Drei Wohnungen befinden sich auf dieser Etage, zwei Türen auf der einen Seite, eine auf der anderen. Zwei stehen offen. Rasch inspiziere ich eine Wohnung. Die drei Zimmer sind leer und weitgehend unbeschädigt. Auf dem Tisch vor einem stummen Fernseher stehen noch die schimmligen Reste einer unberührten Mahlzeit. Der Bewohner muss hastig aufgebrochen – oder hinausgezerrt worden – sein. Keith verschwindet in der anderen offenen Wohnung und kommt wenige Sekunden später wieder heraus.
»Nichts«, sagt er leise, »nur eine Tote auf einem Bett.«
»Auf einem Bett?«, fragt Carol überrascht.
»Jemand hat seine Geliebte oder Mutter oder sonst was aufgebahrt. Sie hübsch angezogen und ihr das Haar gebürstet. Sieht trotzdem ziemlich grässlich aus.«
»Wie rührend«, murmelt Paul und legt das Ohr an die Tür der verbliebenen Wohnung. Er drückt behutsam dagegen, doch sie bewegt sich nicht.
»Aufbrechen?«, schlage ich vor und nehme die Axt zur Hand. Er klopft überflüssigerweise an, dann nickt er und tritt beiseite. Ich hebe die Axt und schlage zu; Metall klirrt auf Metall, als ich das Yale-Schloss treffe und daran abrutsche. Ich hebe den Arm erneut. Keith packt mich am Handgelenk, bevor ich wieder zuschlagen kann.
»Hör doch.«
Ich gehorche, höre aber nichts. Ich versuche, die Hand zu befreien, aber er hält mich nur fester und sieht mich böse an.
»Ich höre es«, flüstert Carol. Und dann höre ich es auch. Eine leise, gedämpfte Stimme, die uns aus der Wohnung etwas zuruft.
»Nicht mein …«, ertönt es, doch der Rest ist unverständlich.
»Nicht meine Wohnung?«, schlägt Keith vor.
»Nicht meine Schuld?«, mutmaßt Paul und zuckt die Achseln. »Mach die Tür auf, Kumpel, damit wir ihn erledigen können. Das ist nur ein Spinner.«
Ich gehorche und schlage immer wieder zu, bis das dünne Holz zersplittert und das Schloss bricht. Ich trete die Tür auf und sehe ins Halbdunkel. Eine Explosion draußen, die zum perfekten Zeitpunkt erfolgt, taucht alles für einen Sekundenbruchteil in grellweißes Licht, wie der Blitz einer Kamera, und ich erkenne, dass
Weitere Kostenlose Bücher