Todeshunger
jemand am anderen Ende eines kurzen Flurs hinter der Tür steht. Ich
sehe den reglosen Umriss direkt vor uns. Die Tür schwingt langsam wieder zu.
»Wie viele?«, fragt Carol.
»Ich konnte nur einen sehen«, antworte ich. »Gib uns die Taschenlampe, Keith.«
Keith schaltet die Taschenlampe ein, doch bevor er sie mir geben kann, wird die Tür aufgerissen, und die Person aus der Wohnung stürzt sich auf mich. Die Wucht des plötzlichen, unerwarteten Angriffs überrascht mich. Ich stolpere über die eigenen Füße, als ich rückwärtstaumle, und ehe ich mich’s versehe, liege ich auf dem Rücken, und ein stinkender Wichser hockt auf mir. Er packt mich am Mantelkragen und senkt den Kopf, bis sein Gesicht nur Zentimeter von meinem entfernt ist. Sein Atem riecht so übel, dass ich kotzen möchte.
»Nicht mein Kampf«, brüllt er und bespritzt mich mit Spucke. »Nicht mein Kampf …«
Keith schlägt ihm mit der Taschenlampe gegen die Schläfe, er wird von mir heruntergewirbelt.
»Nicht mein Problem«, sagt er höhnisch und versucht, nicht über seinen Witz zu lachen. Der Mann, der mich angegriffen hat, rollt sich ab, steht auf und stapft dümmlich wieder auf Keith zu.
»Nicht mein Kampf«, sagt er mit blutüberströmtem Gesicht. »Lasst mich in Ruhe. Das ist nicht mein Kampf. Verschwindet von hier …«
Keith springt zu ihm, hebt die Taschenlampe, ist zum Töten bereit.
»Er ist einer von uns«, warnt ihn Carol, doch es ist zu spät. Er holt mit der Taschenlampe aus und schlägt sie dem Mann mitten ins Gesicht. Der Mann sackt zusammen, und diesmal steht er nicht mehr auf.
Keith leuchtet mit der Lampe nach unten. Herrgott, Carol hat recht. Er war einer von uns. Keith betrachtet ihn geringschätzig, dann steigt er über den Leichnam und betritt die Wohnung.
Das kleine, schmutzige Apartment sieht wie ein Kokon aus. Die Tür, die ich aufgebrochen habe, wurde vermutlich seit Wochen nicht mehr geöffnet. Die Luft ist muffig und abgestanden, sämtliche Zimmer sind mit Vorratskisten gefüllt. Eine eingehendere Inspektion ergibt, dass fast sämtliche Vorräte aufgebraucht sind. Der tote Mann auf dem Treppenabsatz hatte kaum noch Lebensmittel übrig.
»Er hat gut gewirtschaftet, dass er so lange durchhalten konnte«, sagt Paul.
»Wenn du mich fragst«, sagt Keith, wischt die Taschenlampe an einem Vorhang mit Blumenmuster ab, öffnet eine Tür ins angrenzende Zimmer und sieht hinein, »sind Leute wie er so schlimm wie die Unveränderten. Wenn man nicht mit uns kämpft, ist das fast so übel, als würde man gegen uns kämpfen. Wir haben nicht die Wahl, ob wir etwas mit diesem Krieg zu tun haben möchten oder nicht. Es gibt für keinen eine Rückzugsklausel.«
»Das war seine Frau, weißt du«, sagt Paul und folgt mir dabei auf einen kleinen Balkon mit Blick auf die Ruinen meiner Heimatstadt. Ich bin schon eine ganze Weile hier draußen, frische Luft schnappen.
»Was?«
»Der Kerl, den Keith getötet hat – das auf dem Bett nebenan war sein Mädchen.«
»Woher weißt du das?«
»Ich hab ein Foto gefunden, das die beiden zusammen zeigt. Reizendes Paar …«, murmelt er sarkastisch.
»War sie wie wir?«
»Nee, eine von denen.«
»Aber er konnte sie nicht loslassen?«
»Sieht so aus. Vermutlich hat er sie getötet und es dann bereut. Wahre Liebe, was?«, witzelt er. »Läuft nie so wie geplant.«
»Damit liegst du nicht falsch. Meine andere Hälfte war …«
»Ich weiß. Scheißpech, Kumpel.«
»Was ist mit dir?«
»Gute Frage.«
»Was meinst du damit?«
»Ich war drei Jahre mit meiner Freundin zusammen, dann ist das hier alles passiert …«
»Ist sie unverändert?«
»Nein, keineswegs. Wir sind nach der Veränderung eine Weile zusammengeblieben, haben uns dann aber aus den Augen verloren. Wir brauchten einander einfach nicht mehr so wie früher.«
Ich sehe ihn an. Er lässt neben mir den Kopf über das Balkongeländer hängen und blickt in die Ferne.
»Ich nehme an, Beziehungen und so weiter müssen in dieser Situation einfach zurückstehen.«
»Da hast du wohl recht«, seufzt er. »Weißt du, gestern ist mir aufgefallen, dass ich seit Wochen keinen Ständer mehr gehabt habe.«
»Das wollte ich so genau gar nicht wissen.«
»Ich beklage mich ja nicht«, fügt er hastig hinzu. »Bis dahin habe ich nur nie daran gedacht. Ich denke gar nicht mehr an Sex, sehe keinen Frauen mehr nach … ich hoffe bei Gott, dass das nur vorübergehend ist.«
Mir geht es ebenso, allerdings verkneife ich mir
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