Todeshunger
Angelegenheit, die Kinder zusammenzutreiben und in den Transporter zu schaffen. Es sind acht, aber drei konnten entkommen. Die älteren Kinder
begreifen generell eher, was wir versuchen und weshalb wir möchten, dass sie mit uns kommen. Die Verheißung von Kämpfen und etwas zu essen genügt ihnen als Lockmittel.
»Gutes Ergebnis«, sagt Keith. »Auftrag ausgeführt. Wir bringen die Bande zu den anderen. Bei so einem Fang kann Preston nicht meckern.«
Ich wusste, dass das kommen würde. Seit etwa einer halben Stunde erzählen sie nur noch davon, dass wir zu den Leuten zurückkehren müssen, die wir bei dem Schlachthaus zurückgelassen haben. Was sie angeht, ist diese Mission erfolgreich abgeschlossen. Ich weiß, ich sollte mit ihnen gehen, kann es aber nicht. Ellis ist immer noch irgendwo da draußen.
»Ich komme nicht mit.«
»Du verweichlichtes Arschloch«, sagt Carol wütend. »Sei nicht so verdammt dumm.«
»Wir haben einen Transporter voller Kinder«, argumentiert Keith.
»Ja, aber nicht mein Kind.«
»Wir brauchen dein Kind nicht.«
»Ich schon.«
»Nein. Du brauchst nur …«
»Ich finde sie und bringe sie zu euch«, rufe ich über die Schulter, als ich bereits davonstapfe. »Es dauert bestimmt nicht lange. Höchstens ein paar Stunden.«
Ich höre sie diskutieren, doch das ändert nichts.
»McCoyne, warte«, ruft Paul. Ich mache noch ein paar Schritte, dann bleibe ich wider besseres Wissen stehen und drehe mich um. »Er hat recht«, höre ich ihn zu Carol und Keith sagen. »Wir haben die Anweisung erhalten, so viele Leute wie möglich zu finden, die mit uns kämpfen
können, oder etwa nicht? Es ist sinnvoll, dass wir uns aufteilen. Ihr schafft diese Fuhre ins Lager, wir suchen nach weiteren. Okay?«
Keith denkt einen Moment nach und nickt schließlich. »Na gut. Mir ist das gleich.«
Ich setze mich wieder in Bewegung, schultere den Rucksack und halte die Axt in der Hand bereit.
»Ich begleite ihn«, höre ich Paul sagen. »Julia hat mir gesagt, ich soll auf ihn aufpassen.«
Ich gehe schneller und bin fester denn je entschlossen, Ellis zu finden. Als ich die Kinder in der Schule gesehen habe, war ich umso überzeugter, dass sie überlebt hat, aber um welchen Preis? In was für einer Verfassung ist sie? Wenn ich sie nicht finde, endet sie dann wie die Kinder, die wir hier entdeckt haben?
»Warte doch«, ruft Paul, doch ich marschiere einfach weiter. Ich brauche ihn nicht. Ich brauche keinen von denen.
15
I ch habe den Eindruck, als würde mich alle zwei Minuten etwas, das ich sehe, vollkommen unerwartet treffen. Diesmal ist es eine Tankstelle; eine unscheinbare, einsame Hülle von einem Gebäude, das ich normalerweise keines zweiten Blickes gewürdigt hätte. Ich bleibe mitten auf der Straße stehen und starre es an. Lichter hängen von dem hohen Vordach an der Vorderseite herunter. Das große Willkommen-Schild liegt auf der Seite und versperrt den Weg zu den jetzt überflüssigen Zapfsäulen. Metallgitter schützen nutzlos längst eingeschlagene Fensterscheiben. Im Inneren sind die Regale bar alles Wertvollen …
»Problem?«, fragt Paul.
»Nein«, lüge ich. »Ich dachte nur, ich hätte etwas gesehen.«
Ich gehe ein paar Schritte näher hin und wünsche mir, ich wäre allein. Da ist nichts, und er weiß das auch. Ich will nur einen Moment bleiben, mich umsehen und in Erinnerungen schwelgen. Mir kommt es wie fünf Minuten vor, aber vermutlich ist es eher fünf Monate her, seit ich zum letzten Mal hier gewesen bin. Lizzie hatte ihren Vater ins Krankenhaus gebracht und mir die Kinder aufs Auge gedrückt. Ich war mit ihnen im Kino. Wir sind quer durch die halbe Stadt gebraust und haben den halben Tank leergefahren, um das billigste Kino zu finden. Sie haben gestritten, was sie sehen wollten. Ed und ich waren für einen Film,
Ellis für einen anderen. Edward und ich gingen als Sieger aus dem Streit hervor. Josh hat den ganzen Film verschlafen, Ellis die ganze Zeit über gequengelt. Auf dem Heimweg haben wir hier angehalten, getankt, und ich habe Ellis etwas Süßes gekauft, nur damit sie die Klappe hält. Dann fingen die beiden anderen an, sich zu beschweren … Wenn ich die Augen halb schließe, sehe ich sie da drin deutlich vor mir. Sie hat eine Ewigkeit gebraucht, um sich ihre Süßigkeit auszusuchen, es unnötig in die Länge gezogen und versucht, mir so viel wie möglich abzuknöpfen.
Heute überrascht mich der Kontrast. Damals war alles so trivial und unwichtig. Ich betrat dieses
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