Todeshunger
Bushaltestelle gerast ist, versperrt teilweise die Straße. Der stark verweste Fahrer, ein Unveränderter, wurde durch die geborstene Windschutzscheibe geschleudert – oder gezerrt. Sieht so aus, als wäre er angegriffen worden und hätte zu fliehen versucht. Sein Leichnam liegt auf der eingedrückten Motorhaube; gezackte Glasscherben stecken in der blau verfärbten Haut, haben sie durchbohrt und aufgerissen. Die rechte Schulter ist nur noch ein deformierter Stumpf aus zerfetztem Fleisch und freiliegenden
Knochensplittern. Der Rest des Arms fehlt. Keith fährt auf den Bordstein und steuert den Transporter vorsichtig durch eine schmale Lücke, wobei er mit einem abscheulichen, knirschenden Geräusch an einer Wand entlangschrammt. Ich sehe nach unten, als wir über einen zweiten, ähnlich verstümmelten Leichnam fahren. Wer immer hier gekämpft hat, war unerbittlich. Vermutlich wieder diese Brutalos.
»Bieg da vorn rechts ab. Die schmale Straße neben der Kirche entlang.«
Er tut, was ich ihm sage, und fährt ganz langsam den schmalen Weg hinunter, der zum Schulgelände führt. Ich blicke über die niedrige Steinwand links von mir und sehe einige weitere Leichen auf dem Friedhof der Kirche, keine davon in einem Stück. Manche sind völlig verwest, andere relativ frisch. Ich halte mein Lieblingsmesser fest in der Hand und bin bereit, sofort anzugreifen oder mich zu verteidigen, falls es erforderlich werden sollte. Zwar bin ich überzeugt, dass der oder die Verantwortlichen auf unserer Seite waren, dennoch finde ich die Brutalität und Wildheit dieses Massakers bemerkenswert. Keith fährt über den leeren Parkplatz der Lehrer und bleibt vor dem Haupttor des Schulhauses stehen.
»Verdammte Scheiße«, sagt Paul von hinten. »Was ist hier passiert?«
Er springt hinaus und geht zu dem Maschendrahtzaun, der den kleinen, quadratischen Spielplatz umgibt. Ich folge ihm und sehe auf den ersten Blick, dass die Gewalt, die wir auf der Straße gesehen haben, sich auch auf den Schulhof erstreckt. Der eingezäunte, asphaltierte Spielbereich ist mit Leichenteilen übersät. Ich drücke das Gesicht an den hohen Zaun, der dem Spielplatz bizarrerweise
das Aussehen eines Gladiatorenkäfigs verleiht. Als ich zu Boden blicke, kann ich an den wenigen freien Stellen zwischen den Toten immer noch bunt gemalte Markierungen erkennen: Seilhüpfen, Himmel und Hölle, zu groß geratene Buchstaben und Zahlen … Ich blicke auf und erinnere mich auch an diesen Ort, wie er einmal gewesen ist, Dutzende Kinder in identischen Schuluniformen, die lachten und spielten und …
»Brutalos?«, ruft Keith vom Transporter und bringt den Zug meiner Gedanken zum Entgleisen.
»Das bezweifle ich«, antwortet Paul hastig. »Warum sollten die hier sein? Besser gesagt, warum sollte irgendwer noch hier sein?«
»Ein Versteck der Unveränderten?«, mutmaße ich. »Glaubst du, jemand ist in eine Evakuierung reingeplatzt?«
Ich gehe in die Hocke, um mir die Toten in unmittelbarer Nähe genauer anzusehen. Wegen des extremen Ausmaßes an Verstümmelungen und Fäulnis kann man es nur schwer erkennen, aber bei allen Gesichtern, die ich sehe, scheint es sich um Unveränderte zu handeln.
Ich stoße das Tor auf, dann gehen wir zum Eingang der Schule, während Carol und Keith zurückbleiben und den Transporter bewachen. Das Gelände ist hier längst nicht so übersät. Eigentlich sieht es fast genauso aus wie damals, als wir die Kinder noch zum Unterricht brachten. Paul rempelt mich an. Ich schaue auf und sehe, wie sich jemand blitzartig bewegt, eine kleinwüchsige Gestalt, die an der Seite des Schulgebäudes entlangläuft, von einer niederen Backsteinmauer herunterspringt und im Inneren verschwindet. Ich renne hinterher und stoße die Tür auf, die immer noch schwingt. Kaum habe ich das Gebäude betreten, bleibe ich wie angewurzelt stehen, da mich augenblicklich
ein unerträglicher Gestank einhüllt. Ich rieche menschliche Ausscheidungen, verfaultes Essen und andere, noch unangenehmere Gerüche.
Ich bahne mir einen Weg durch den Unrat auf dem Boden des kleinen Eingangsbereichs. Unmittelbar vor mir liegt die Tür zur Aula. Links befinden sich die ehemaligen Lehrerzimmer und die Verwaltung, rechts eine kurze Treppenflucht und ein Korridor, der zu den Klassenzimmern führt. Langsam passen sich meine Augen an das Halbdunkel an. Einst war dies ein strahlend heller Ort voll Lärm, Energie und Leben, jetzt ist es hier so dunkel und tot wie überall, ein krasser Kontrast zu
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