Todeshunger
ich das Gleiche mit Dylan gemacht. Er war wach, als ich sein Zimmer betrat. Da stand er, hüpfte auf seiner Matratze auf und ab und grinste mich an, aber ich habe es trotzdem getan. Ich musste.«
»Tut mir leid«, murmle ich leise, weil ich mich wie ein richtiges Arschloch fühle und nicht weiß, was ich sonst sagen soll. Er schüttelt den Kopf, geht weiter und versucht vergeblich, seine Wut zu verbergen.
»Seit ich Prestons Ansprachen gehört habe, frage ich mich immer wieder, was passiert wäre, wenn ich ihn einfach verschont hätte. Hätte ich ihn zu einem von uns machen können?«
»Glaubst du das wirklich?«
»Ich weiß nicht, was ich glaube. Ich weiß nur, dass du kein Recht hast, mich zu fragen, ob ich verstehe, was du durchmachst. Du hast ein Kind, das möglicherweise irgendwo da draußen ist und kämpft, und heutzutage kann keiner auf mehr hoffen. Und jetzt sei still, und reiß dich zusammen. Vergiss sie.«
16
W ir arbeiten uns am äußersten Rand des Sperrgebiets der Unveränderten entlang, entweder dicht inner- oder dicht außerhalb der Grenze, je nachdem, wessen Karte man zu Rate zieht. Hier draußen ist es unheimlich still; seit wir uns in der Schule von den anderen verabschiedeten, haben wir nur eine Handvoll andere Kämpfer gesehen. Doch hier und jetzt ist plötzlich alles anders. Paul und ich durchqueren schweigend das weitläufige Gelände einer Universität, entfernen uns dabei von den baufälligen, von Kämpfen gezeichneten Gebäuden und erklimmen eine Anzahl terrassenförmig angelegter Fußballplätze, die wie gigantisch übersteigerte Treppenstufen wirken. Vom äußersten Rand des obersten Spielfelds können wir einen Großteil des Sperrgebiets sehen, und in der Ferne erkenne ich gerade noch den Stadtteil, wo Lizzies Schwester gewohnt hat. Doch was unmittelbar unter uns liegt, ist interessanter. Wir blicken auf die Überreste des St. James’ Hospital hinab, wo es von Aktivitäten nur so wimmelt. Unsere Kämpfer wuseln darüber hinweg wie Ameisen über Essensreste.
»Was meinst du?«
Paul zuckt die Achseln. »Es muss einen Grund dafür geben, dass die hier sind«, antwortet er, dann kriecht er, ehe ich noch etwas sagen kann, durch ein Loch in dem Maschendrahtzaun und läuft einen steilen, mit Gras bewachsenen Hang hinunter zu dem Krankenhaus.
Einen Moment ermahne ich mich, dass ich mich ganz auf die Suche nach Ellis konzentrieren sollte, doch dann denke ich daran, dass Unveränderte ganz in der Nähe sein müssen, und kann der Versuchung nicht widerstehen. Mir läuft das Wasser im Mund zusammen, als ich Paul folge, den Hang hinablaufe und mir nichts sehnlicher wünsche, als in dem Krankenhaus zu sein, damit das Töten beginnen kann. Als ich mich in Bewegung setze, höre ich Gewehrschüsse, ein sicheres Zeichen dafür, dass der Feind in der Nähe ist. Plötzlich kann ich nur noch daran denken, meine Gier zu befriedigen und Unveränderten das Leben zu nehmen.
Der Haupteingang des Krankenhauses wurde teilweise zerstört, die automatischen Türen sind beim Aufgehen stehen geblieben, die Metallrahmen verbogen. Als ich Paul einhole, sucht er nach einem Weg um die Überreste dieser Stelle herum. Es hört sich an, als würden sich die Gefechte weitgehend auf die Parkplätze und die anderen Gebäude am gegenüberliegenden Ende des Komplexes konzentrieren.
»Einfach gerade durch«, schlage ich vor, während ich mich durch die Lücke in den Türen zwänge. Er folgt mir den langen Flur entlang, der überraschend weiß und sauber geblieben ist und noch von einem Hauch Desinfektionsmittelgeruch erfüllt ist. Das Gebäude macht einen riesigen, leeren Eindruck, unsere Schritte hallen laut auf dem Marmorboden, als wir uns dem Ort der Kampfhandlungen nähern. Ein riesiger, zickzackförmiger Riss in einer der Wände bringt mich dazu, dass ich meine Entscheidung, diesen Weg zu nehmen, kurz in Frage stelle, aber jetzt ist es zu spät und das Risiko sowieso wert. Wir nähern uns dem Kampfgebiet.
Ich stürme durch eine doppelte Schwingtür und bleibe vor einer Treppe stehen. Mein Instinkt rät mir zu dem Weg nach unten, doch den versperren die Trümmer einer eingestürzten Mauer. Paul zögert nicht lange und hastet nach oben. Ich folge ihm durch mehrere Türen und über einen weiteren, deutlich kürzeren Flur, der an einer Biegung im rechten Winkel endet. Instinktiv machen wir langsamer, als wir eine Station voller Leichen betreten. Ich frage mich, ob diese stark verwesten Leute einfach zurückgelassen
Weitere Kostenlose Bücher