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Todesinstinkt

Todesinstinkt

Titel: Todesinstinkt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heyne
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zutiefst.«
    »Bestimmt. Und wer steckt Ihrer Meinung nach hinter dem Bombenanschlag, Fischer?«
    »Anarchisten natürlich. Bolschewisten.«
    »Sind Sie sicher?«
    »Absolut.«
    »Und woher haben Sie Ihr Wissen?«
    »Aus den Zeitungen.«
    Kurz darauf trat ein Pfleger ein, der Mr. Fischer zurück in sein Zimmer brachte.

    A n einem Abend Mitte Oktober glitt ihr Zug mit einem befriedigten Kreischen in den Wiener Westbahnhof. Die österreichischen Züge, einst der Stolz des Kaiserreichs, waren nur noch ein Schatten ihrer selbst. Sie fuhren mit halben Kohlerationen, da die andere Hälfte von korrupten Beamten und notleidenden Schaffnern verkauft wurde. Leuchter und dekorierte Täfelung waren offenbar von Dieben herausgerissen worden.
    Unter einem hellen Halbmond wartete nur ein einziger Fiaker vor dem Bahnhof: ein eleganter Zweispänner. Younger saß zwar neben Colette, aber sie hielt Abstand und blickte von ihm abgewandt hinaus auf die Stadt. Luc nahm gegenüber Platz, einen Koffer unter den Beinen, den anderen neben sich. Es war ein herrlicher Abend. In der Ferne, hinter den Dächern stattlicher Häuser beschrieb das Riesenrad im Prater einen hohen, gemächlichen Bogen durch die Luft. Der Wind trug Fetzen von Walzermusik und ausgelassenem Gelächter herüber.
    »Wien ist fröhlich.« Colettes Bemerkung klang wehmütig für Youngers Ohren.
    Sie hatte auf Französisch gesprochen, und der Kutscher antwortete in der gleichen Sprache: »Ja, wir sind fröhlich, Mademoiselle. Das ist unsere Natur. Selbst im Krieg waren wir fröhlich. Und im Gegensatz zum letzten Mal, als Sie hier waren, essen wir auch keine Hunde mehr.«
    Der Mann präsentierte ihnen seine Karte. Es war Oktavian Ferdinand Graf Kinsky von Wchinitz und Tettau, der sie schon bei ihrem ersten Besuch in Wien zum Hotel gefahren hatte. Doch auf seiner Karte waren die Worte Graf und von inzwischen durchgestrichen.
    »Adelstitel sind abgeschafft worden«, erklärte er. »Nicht
einmal auf unseren Karten dürfen wir sie mehr führen. Ja, ja, alles wird besser. Alles wird immer besser.«
    Von hinten hörten sie ein fernes Ächzen, gefolgt von einem donnernden Krachen.
    »Was war das?« Colette fuhr hoch.
    »Nichts, Mademoiselle«, erwiderte der Kutscher. »Das kommt aus dem Wienerwald, dem schönsten Forst der Welt. Sie fällen Bäume.«
    »Um diese Zeit?«, fragte Younger. »Wer?«
    »Alle, Monsieur. Es ist verboten, aber den Menschen bleibt nichts anderes übrig. Es gibt keine Kohle mehr. Nur noch Holz. Sie tun es nachts, um nicht verhaftet zu werden. Wenn der Winter kommt, werden viele keine Heizung haben. Sie kommen aus Paris?«
    »New York.«
    »Monsieur ist Amerikaner?«
    Younger bejahte.
    »Verzeihung, ich dachte, Sie sind Franzose. Dann darf ich Sie zu dieser Fahrt einladen. Österreich schuldet Ihnen tiefsten Dank.«
    Younger brachte sein Erstaunen über dieses Angebot zum Ausdruck.
    »Sie meinen, dass ein besiegtes Land nicht oft dem Feind seine Dankbarkeit erklärt? Ich danke Ihnen im Namen unserer Kinder. Die amerikanischen Hilfspakete sind immer noch ihre wichtigste Nahrungsquelle. Kennen Sie Mr. Stockton – Ihren Chargé d’Affaires? Ich habe ihn letzten Monat zum Bahnhof gefahren. Er hatte gerade einen Brief vom Vorsitzenden des Obersten Gerichtshofs erhalten, der anfragte, ob die Richter auch ein Hilfspaket erhalten könnten.«

    »Was wird mit den Kindern passieren«, erkundigte sich Colette besorgt, »wenn sie im Winter nicht heizen können?«
    »Vermutlich werden sie erfrieren, viele von ihnen zumindest. Aber hier sind wir: Berggasse 19. Ich hoffe, Dr. Freud geht es gut.«
    Younger, der ausgestiegen war und Colette die Hand hinstreckte, zog angesichts des überaus kenntnisreichen Kutschers eine Augenbraue hoch.
    »Wenn Gäste aus dem Ausland die Berggasse besuchen«, bemerkte der ehemalige Graf, »kann es dafür nur einen Grund geben.«
    Younger bat ihn zu warten, während sie den Freuds ihre Aufwartung machten. Oktavian erklärte sich gern dazu bereit.
     
    E s war die Schwester von Freuds Frau, Minna Bernays, die ihnen die Tür der Wohnung im ersten Stock öffnete. Obwohl sie erwartet wurden, wollte Fräulein Bernays sie nicht einlassen, da sich Dr. Freud und seine Frau Martha schon früh zurückgezogen hätten. Als sie sie gerade aufforderte, doch am nächsten Tag noch einmal vorbeizuschauen, wurde sie von der tiefen Stimme eines Mannes unterbrochen, der die Meldung über seinen Rückzug als stark übertrieben bezeichnete.
    Es folgte eine

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