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Todesinstinkt

Todesinstinkt

Titel: Todesinstinkt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heyne
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Dächern aneinander, allesamt überragt von einer Kirche mit hohem Turm. Es gab keinen Bahnhof – nur einen Bahnsteig und einen einzelnen Fahrkartenschalter.

    Bei zunehmender Dunkelheit steuerte Younger auf diesen Fahrkartenschalter zu. Er wischte sich den Dreck aus den Augen und das Wasser von der Stirn. Dummerweise hatte er keine Schutzbrille gehabt. Die Fahrt hatte nicht sechs Stunden gedauert, sondern zehn: Der Regen hatte sie aufgehalten, Luc hatte etwas zu essen gebraucht, und dreimal hatten sie sich verirrt. Younger öffnete die Abdeckung des Beiwagens und hob Luc heraus. Das Innere war genauso durchweicht wie der Junge.
    Younger fragte den Schalterbeamten nach Decken. Es gab tatsächlich welche. Younger warf sie Luc zu und befahl ihm, die nassen Sachen auszuziehen und sich gründlich abzutrocknen. Schließlich wandte sich Younger wieder dem Beamten zu. »War der Zug aus Wien schon da?«
    »Ja, vor zwei Stunden.«
    »Haben Sie zufällig eine allein reisende junge Frau mit dunklem Haar gesehen, die ausgestiegen ist?«
    »Französin?«, fragte der Beamte.
    »Ja.«
    »Wunderschön?«
    »Ja, das ist sie.«
    »Nein.«
    Younger wartete vergeblich auf weitere Auskünfte. »Was soll das heißen, nein?«
    »Ich war nicht hier, als der Zug aus Wien eingetroffen ist, mein Herr. Aber das Fräulein muss damit gekommen sein. Ich habe ihr eine Fahrkarte verkauft.«
    »Eine Fahrkarte wohin?«
    »Einmal einfach für den Nachtzug nach Prag. Kein Gepäck. Sie haben sie nur knapp verpasst. Der Zug ist erst vor einer knappen Stunde abgefahren. Äußerst ungewöhnlich.
Stellen Sie sich vor, eine junge Frau, die nachts ohne Begleitung reist.«
    Younger fuhr sich mit den Händen durchs Haar. »Ich suche nach einem gewissen Hans Gruber. Wissen Sie zufällig, wo er wohnt? Oder Verwandte von ihm?«
     
    Y ounger fand das Haus, das ihm der Schalterbeamte beschrieben hatte — klein, bäuerlich und mit einem Zaun umgeben, sauber, aber heruntergekommen. Das Dach sah aus, als könnte es jeden Moment einstürzen. Eine untersetzte alte Frau mit harten Augen öffnete die Tür.
    »Frau Gruber?«, fragte Younger.
    »Ja. Was wollen Sie?«
    »Ich bin ein Freund von Hans.«
    »Lügner.« Die Stimme der Alten klang scharf und verschlagen zugleich. Selbst der Anblick des in eine Decke gehüllten Jungen an Youngers Seite konnte sie nicht erweichen. »Lassen Sie mich in Ruhe. Er ist nicht hier. Er ist in Wien.«
    Younger ging dazwischen, als sie die Tür schließen wollte. »Meiner Bekannten haben Sie aber was anderes erzählt. Dass er in Prag ist.«
    Argwöhnisch kniff sie die Augen zusammen und bleckte die gelben Zähne zu einem hässlichen Lachen. »Meinen Sie, ich weiß nicht, was er mit ihr anstellen wird? Ich kenne ihn genau. Das letzte Hemd wird er ihr ausziehen. Er wird sie als Hure auf die Straße schicken und sie auf den Müll werfen, wenn sie verbraucht ist. So wie all die anderen.«
    Youngers Reaktion auf diese Vorhersage war erstaunlich widersprüchlich. Einerseits hielt er es für möglich, dass Colette in Gefahr war, falls sie Gruber heiratete. Andererseits
fand er, dass die Chancen auf eine Ehe mit Gruber merklich gesunken waren. »Sagen Sie mir, wo ich ihn in Prag finden kann.«
    »Ich weiß, warum Sie hier sind«, entgegnete die Alte. »Er schuldet Ihnen Geld. Das sehe ich in Ihren Augen. Aber seine Schulden an mich sind älter.« Verbittert schüttelte sie den Kopf. »All die Jahre hat er die Familienrente eingestrichen, bloß weil der Staat die Briefe an ihn adressiert hat. Dann besitzt er die Frechheit, zurückzukommen und unter meinem Dach zu schlafen. Nehmen Sie den Fuß aus meiner Tür, oder ich rufe die Polizei. Glauben Sie, ich helfe Ihnen dabei, Hans Geld abzuknöpfen? Alles, was er hat, gehört mir.«
    »Wie viel?«, fragte Younger.
    »Was?«
    »Wie viel schuldet er Ihnen?«
    Bereitwillig rechnete die Alte den Betrag aus. Er war ziemlich groß. Younger entnahm seiner Brieftasche eine deutlich höhere Summe in Kronen. Ihre Augen funkelten.
     
    A ls Younger das Haus der Alten verließ, hatte er eine Adresse in Prag, und Luc steckte in einem trockenen und sauberen, wenn auch alten braunen Anzug aus Wolle. Dank des Schalterbeamten hatte Younger eine recht genaue Vorstellung von der Strecke nach Prag. »Schlaf dich ein bisschen aus da drinnen«, forderte er Luc auf, als der Kleine in den Beiwagen kletterte. »Wir haben einen langen Weg vor uns.«
    Luc musterte Younger forschend.
    »Na schön, das alles ist ja kein Geheimnis.

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