Todesinstinkt
amerikanische Vormarsch schon am nächsten Tag beginnen mit dem Ziel, Mexiko-Stadt bis zum fünfundzwanzigsten November zu besetzen, dem Tag, an dem General Obregón sein Amt antreten sollte. Allgemein wurde vermutet, dass die Amerikaner die Amtseinführung zulassen würden — allerdings mit einem Kandidaten ihrer Wahl.
A bermals begleitete Younger Colette zu Mrs. Meloneys Haus an der West Twelfth Street, wo bereits ein Wagen wartete, um sie zu Mr. Brightons Leuchtfarbenfabrik in Orange, New Jersey, zu bringen. Der Chauffeur war der furchtlose Samuels. Younger verabschiedete sich und wartete auf dem Gehsteig, um sich zu vergewissern, dass ihnen niemand gefolgt war. Dann nahm er die Untergrundbahn ins Zentrum. Der Tag war kühl und bedeckt.
Vorbei an Lagerhallen und Schlachthäusern marschierte Younger zur Tenth Avenue und betrat das College of Physicians and Surgeons der Columbia University. Younger kannte zwei Forscher an diesem medizinischen Institut, das
zur Sloane-Frauenklinik gehörte. Einen von ihnen, Joseph Johanson, fand er in seinem Laboratorium. Younger bat ihn, im Krankenhaus anzurufen und um Einsicht in die Akte einer Patientin namens McDonald zu bitten, die unter der Obhut von Dr. Frederick Lyme gestanden hatte.
»An der Sloane-Klinik gibt es keinen Dr. Lyme«, erwiderte Johanson.
»Gestern war er noch da«, sagte Younger. »Ich habe persönlich mit ihm geredet.«
Mit zweifelnder Miene rief Johanson an. Kurz darauf erfuhren sie, dass tatsächlich eine Akte über eine gewisse Quinta McDonald existierte, dass aber alle Aufzeichnungen über sie auf Wunsch ihrer Familie entfernt worden waren. Geblieben war nur ein Totenschein, aus dem hervorging, dass die Patientin vor fünf Tagen an Syphilis gestorben war.
»Wer hat den Totenschein ausgestellt?«
Johanson gab Youngers Frage an die Schwester weiter, die berichtete, dass die Unterschrift von einem Anwalt namens Gleason stammte. Auch sie hatte noch nie von einem Dr. Lyme an der Klinik gehört.
»Moment mal. Frederick Lyme, den Namen kenne ich aber.« Nachdem er aufgelegt hatte, nahm Johanson ein großes Ringbuch aus einem Bücherregal: ein Verzeichnis des Kollegiums der Columbia University. »Da haben wir ihn schon. Er ist kein Arzt. Ein Physiologe, nicht mal Doktor.«
Younger stutzte. »Wie kommt ein Physiologe dazu, in Ihrem Krankenhaus eine Patientin zu behandeln?«
C olette und Mrs. Meloney wurden von Mr. Arnold Brighton in seiner Leuchtfarbenfabrik in New Jersey wie Würdenträger begrüßt und erhielten jeweils eine diamantene
Anstecknadel – ein Beweis seiner Wertschätzung, erklärte Brighton. Mrs. Meloney war entzückt. Colette gab sich Mühe, erfreut zu wirken.
Voller Stolz präsentierte ihnen Brighton die Fabrik. Sie arbeitete unter der gewissenhaften Überwachung von Laborwissenschaftlern, die darauf achteten, dass das Radium in exakt abgemessenen winzigen Mengen in die Fässer mit blauer und gelber Farbe gemischt wurde, die danach verschlossen und immer wieder gedreht wurden, um eine gleichmäßige Verteilung zu gewährleisten. Die radiumversetzte Farbe war mit Bleiplatten vom Rest der Fabrik abgeschirmt. An mehreren Stellen waren Radioaktivitätsdetektoren angebracht, die im Fall eines Strahlungslecks sofort Alarm auslösten.
Mrs. Meloney brachte das Thema des Marie-Curie-Radiumfonds zur Sprache.
»Ja, Marie Curie«, sinnierte Brighton andächtig. »Was die Welt dieser Frau schuldet, lässt sich gar nicht in Zahlen ausdrücken. Selbst Samuels hätte Schwierigkeiten, das zu messen. Er ist nämlich ein tüchtiger Buchhalter, mein Samuels. Das würde man gar nicht vermuten, wenn man ihn so ansieht. Das zeigt mal wieder, dass man niemanden nach seinem Äußeren beurteilen soll. Habe ich nicht Recht, meine Damen?«
Colette und Mrs. Meloney stimmten ihm zu.
»Wo war ich stehengeblieben?« Brighton runzelte die Stirn.
»Unsere Schuld gegen Madame Curie«, soufflierte Mrs. Meloney.
»Ja, natürlich. Den Gewinn aus meinen Radiumminen in Colorado und aus dem Verkauf meiner Leuchtfarbe – im
Grunde verdanke ich das alles Marie Curie. Freilich besitze ich hier und dort auch noch einige andere Dinge.«
»Mr. Brighton«, erläuterte Mrs. Meloney für Colette, »ist einer der großen Ölmagnaten unseres Landes.«
»So haben wir in Colorado auch das Radium entdeckt«, fügte Brighton fröhlich hinzu. »Bei Probebohrungen nach Öl.«
Sanft erinnerte Mrs. Meloney den Industriellen an den Fonds.
»Fonds? Welcher Fonds?«
»Der
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