Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Todesinstinkt

Todesinstinkt

Titel: Todesinstinkt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heyne
Vom Netzwerk:
Bügel, in die Younger und Littlemore die gebogenen Spitzen der Brechstangen schoben. Auf ein Zeichen hin zerrten sie mit aller Kraft, aber die runde Eisenplatte rührte sich nicht.
    »Hab sowieso nicht damit gerechnet, dass das klappt«, wisperte Littlemore. »Ist von innen verriegelt, lässt sich von außen nicht öffnen.«
    »Dafür also die Säure«, bemerkte Younger.
    »Ja – dafür.«

    Younger zog drei flache Etuis aus der Jacke. Das erste enthielt einen leeren Gießbecher, ein bleistiftdünnes Reagenzglas und ein Paar Laborhandschuhe. In den anderen zwei mit blauem Velours ausgeschlagenen Etuis befand sich jeweils ein gut verschlossenes Fläschchen mit einer durchsichtigen Flüssigkeit. Behutsam öffnete Younger diese Fläschchen mit behandschuhten Händen und füllte jeweils eine bestimmte Menge davon in den Gießbecher, um die Säure zu erzeugen, die er Littlemore beschrieben hatte. Die Vermischung fand ohne sichtbare chemische Reaktion statt: keine Farbänderung, keine Ausfällung, kein Rauch. Am Schnabel des Bechers befestigte Younger nun die Bürette und machte sich daran, die Säure über den Rand des Kanaldeckels zu träufeln. Sofort traten an der Eisenoberfläche Blasen auf, begleitet von beißendem rötlichen Rauch.
    »Vorsicht, dass Sie das nicht in die Augen bekommen«, mahnte Younger.
    Als er den Umfang des Kanaldeckels zur Hälfte hinter sich hatte, war nichts mehr in dem Becher. Younger musste noch einmal ein Quantum Königswasser herstellen und reichte zu diesem Zweck die beiden unverschlossenen Fläschchen kurz an Littlemore weiter, während er seine Vorrichtung auseinandernahm. In diesem Augenblick fuhr eine besonders heftige Bö durch die Gasse.
    »Mist«, flüsterte Littlemore. Auf seinem schwarzen Schuh schäumten weiße Blasen. Der Detective unterdrückte ein Ächzen. »Es dringt durch meinen Schuh! Tun Sie was, Doc — es ist an meinem Fuß. Es ätzt sich bis zu den Knochen durch!«
    »Aber nicht meine Säure«, warf Younger trocken hin.

    Littlemore verstummte jäh.
    »Was ist das für Zeug?«, fragte Younger. »Backpulver?«
    »Jeder andere wäre darauf reingefallen.« Littlemore schien ehrlich betrübt. »Jeder. Woher wissen Sie, dass das Backpulver ist?«
    Younger bedachte Littlemore mit einem langen Blick. »Geben Sie her.« Er meinte die Fläschchen in den Händen des Detectives. Bald darauf brodelte der gesamte Rand des Kanaldeckels. »Jetzt müssen wir warten.«
    Einige Minuten später stand Younger auf und nahm eine Brechstange. Die andere reichte er Littlemore. Gemeinsam versuchten sie, die Eisenplatte hochzustemmen, aber vergeblich.
    »Vielleicht ist die Säure nicht stark genug«, meinte Littlemore.
    Gemeinsam beugten sie sich über den Kanaldeckel. Littlemore stampfte mit einem Fuß darauf. Als er erneut ausholte, zischte Younger: »Das würde ich nicht ...«
    Zu spät. Mit seinem Schuh hatte Littlemore die säurezersetzte Platte losgetreten. Sie hörten, wie sie davonsauste, als würde sie von einem Vakuum nach unten gesaugt. Einen Moment lang verharrte Littlemore über dem Einstiegsloch, einen Fuß schon drinnen, krampfhaft bemüht, das Gleichgewicht zu halten. Dann entfuhr ihm ein »Mist!«, und er fiel hinein.
    Als Littlemore in dem Loch verschwand, schlug er mit den Armen um sich und bekam Younger am Fußgelenk zu fassen. Younger hätte den Sturz fast auffangen können, doch seine Hände rutschten ab, und auch er tauchte hinab in die Erde, so dass nur eine Brechstange über dem Loch liegen blieb.

    Im nächsten Moment raste Younger mit beängstigender Geschwindigkeit eine Schütte hinunter. Es war stockdunkel, aber dafür war es laut: Sein Körper krachte gegen die gebogenen Wände, und Littlemore vor ihm brüllte. Durchgerüttelt von Haarnadelkurven und Buckeln schossen sie hinab in undurchdringliche Schwärze.
     
    M r. Brighton spannte sie den ganzen Tag auf die Folter, was seine Pläne für den Radiumfonds betraf. Jedes Mal, wenn Mrs. Meloney das Thema anschnitt, wich er aus – ob aus Absicht oder aus Zerstreutheit, konnte Colette nicht erkennen.
    Sie speisten im Restaurant Garret, hoch über der Südspitze Manhattans, und beobachteten einen tiefroten Sonnenuntergang über dem Hudson. Auf der Fahrt hinunter mit dem Aufzug erklärte Mrs. Meloney, dass sie nach dem Essen in derart luftigen Höhen nur noch ein Nervenbündel sei und dringend nach Hause müsse. Colette wollte sich ebenfalls verabschieden.
    »Seien Sie nicht albern, meine Liebe«, bemerkte Mrs. Meloney.

Weitere Kostenlose Bücher