Todesinstinkt
»Sie müssen unbedingt Mr. Brightons Zifferblattfabrik besuchen. Er ist besonders stolz darauf — und zu Recht.«
»Bitte erweisen Sie mir die Ehre«, schloss sich Brighton an.
»Reicht denn dafür noch die Zeit?«, fragte Colette. »Dr. Younger wartet um halb zehn vor der Trinity Church auf mich.«
»Vor der Kirche?« Brighton stutzte. »Wollen Sie ... Sie wollen doch nicht etwa heiraten, Miss Rousseau?«
»Heute Abend noch?« Mrs. Meloney lachte. »Mr. Brighton,
Frauen heiraten nicht am Abend. Und wenn sie es täten, würden sie nicht am Tag ihrer Hochzeit durch Fabriken streifen. Ganz abgesehen von der Tatsache, dass die Trinity Church um diese Zeit schon abgeschlossen ist.«
»Oje.« Brighton spitzte den Mund. »Es gibt so viel, was ich nicht weiß. Aber ich habe Schlüssel zur Trinity Church. Ich sitze nämlich im Aufsichtsrat. Würden Sie sie gern besichtigen, Miss Rousseau? Sie ist herrlich.«
»Ich kenne sie bereits, Mr. Brighton.« Colette hatte am sechzehnten September mehrere Stunden in der Kirche verbracht.
»Miss Rousseau will nicht die Kirche sehen, Mr. Brighton, sondern Ihre Fabrik.« Mrs. Meloney wandte sich an Colette. »Es bleibt noch genügend Zeit, meine Liebe. Die Fabrik ist ganz in der Nähe. Und von dort ist es nur ein Katzensprung bis zur Kirche. Und jetzt enttäuschen Sie ihn nicht – und mich auch nicht. Bitte.«
Mrs. Meloney verschwand in einem Taxi.
»Möchten Sie zu Fuß gehen, Miss Rousseau?«, fragte Brighton.
Colette war auf einmal verlegen. In Mrs. Meloneys Beisein hatte sie sich nicht als eine Frau begriffen, die Zeit mit einem Mann verbrachte, weil sie auf sein Geld aus war. Doch jetzt fühlte sie sich so, und dieses Gefühl verlieh allem, was sie äußern konnte, eine heuchlerische Note. »Ich gehe sehr gern.«
Brighton bot ihr seinen Arm. Colette tat, als hätte sie es nicht gesehen, aber der Industrielle bemerkte das nicht und hielt den Ellbogen so lange hoch, dass Colette schließlich gezwungen war, ihn zu nehmen. Wie er so neben ihr dahinschlenderte, wirkte Brighton sonderbar groß, und sie
fanden keinen gemeinsamen Schritt. Samuels folgte ihnen in respektvollem Abstand.
»Wir kommen genau zur rechten Zeit.« Brighton plauderte angeregt. »Die zweite Schicht geht gerade zu Ende. Ich möchte, dass Sie meine Fabrik in vollem Betrieb erleben. Aber Sie frieren bestimmt, Miss Rousseau.« Inzwischen blies ein bitterkalter Wind, für den Colette tatsächlich nicht richtig angezogen war. »Hier — ich habe Ihnen noch ein kleines Geschenk mitgebracht. Das wird Sie bestimmt wärmen. «
Brighton zog ein Etui aus dem Mantel. In diesem lag ein zweireihiges Diamanthalsband, das zu der Anstecknadel passte, die er ihr am Tag zuvor verehrt hatte.
»Oje«, schnaufte Brighton, »es ist der Halsreif. Eigentlich wollte ich Ihnen zuerst die Handschuhe geben. Nun gut. Darf ich?«
Er legte Colette den Schmuck an, der es viel lieber gewesen wäre, wenn Mr. Brighton den Radiumfonds mit dem Geld bedacht hätte. Stammelnd bedankte sie sich, weil sie spürte, dass sie seine Geschenke annehmen musste, um ihn vielleicht zu einer weiteren Förderung des Fonds zu bewegen. Noch nie in ihrem Leben hatte Colette Diamanten getragen; sie lagen kalt auf ihrer Haut. Konnte sie sie später verkaufen und das Geld in seinem Namen spenden?
Brighton überreichte ihr ein zweites Etui. Dieses enthielt ein Paar dünne, lange Handschuhe. Sie hatten die Farbe frischer Sahne und waren aus einem unendlich weichen Leder gefertigt, wie sie es noch nie berührt hatte. »Probieren Sie sie doch an«, forderte er sie auf.
»Das kann ich nicht, Mr. Brighton. Sie sind viel zu ...«
»Zu lang, um sie anzuziehen, ohne dass Sie aus dem
Mantel schlüpfen? Natürlich. Bitte erlauben Sie.« Er half ihr aus dem leichten Mantel.
Da sie ihn nicht kränken wollte, streifte sie die Handschuhe über, die bis über die Ellbogen reichten. »Mein Mantel, Mr. Brighton.«
»Ja?«
»Würden Sie ihn mir bitte wieder überziehen? Mir ist kalt.«
»Kalt ... ach so ... natürlich, wie albern. Hier bitte. Gefallen sie Ihnen?«
Sie betrachtete ihre in elfenbeinfarbenes Leder gehüllten Finger. »Ich weiß nicht, was ich sagen soll.«
»Ich versichere Ihnen, das Vergnügen ist ganz meinerseits. Nun, Miss Rousseau, wenn ich ganz offen sprechen darf: Ich weiß, was Ihr größter Wunsch auf dieser Welt ist. Mrs. Meloney hat es mir verraten. Sie möchten, dass ich helfe, Radium für Madame Curie zu kaufen. Habe ich Recht?«
»Ja, wenn
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