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Todesinstinkt

Todesinstinkt

Titel: Todesinstinkt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heyne
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Automobilen und ratternden Omnibussen tatsächlich ein Augenpaar auf sie gerichtet war.
    Es gehörte einer einzelnen weiblichen Gestalt, reglos, die Wangen eingefallen und bleich, so skeletthaft in ihrer Statur, dass sie wohl nicht einmal ein Kind hätte bedrohen können. Ihr trockenes, rotes Haar war fast ganz unter einem Kopftuch verborgen, und ein Kleid aus dem vergangenen Jahrhundert hing ihr bis zu den Knöcheln. Ihr Alter war nicht zu erkennen: Sie hätte genauso gut unschuldige vierzehn wie knochige fünfundfünfzig sein können. Nur ihre Augen wiesen eine Besonderheit auf. Ihre fahlblauen Iriden waren mit bräunlich gelben Flecken gesprenkelt wie eine ruhige See mit treibenden Leichen.
    Zu den Fahrzeugen, die der Frau den Weg über die Fifth Avenue versperrten, gehörte auch ein von einem Pferd gezogener Lieferwagen. Gelassen richtete sie den Blick darauf. Als der trabende Gaul sie aus dem Augenwinkel bemerkte, bäumte er sich scheuend auf. Der Kutscher rief, Fahrzeuge scherten aus, Reifen kreischten. Es gab keinen Zusammenstoß, aber plötzlich tat sich im Verkehr eine deutliche Lücke auf. Unbehelligt überquerte sie die Fifth Avenue.
     
    L ittlemore führte sie zu einem Karren neben der U-Bahntreppe und schlug »Dogs« als Mittagessen vor, woraufhin sich die Männer gezwungen sahen, der entsetzten Französin die Zutaten dieser neuen kulinarischen Sensation mit dem Namen Hotdog zu erklären. »Das schmeckt Ihnen bestimmt, Miss«, versprach der Detective.

    »Meinen Sie?« Sie zog ein zweifelndes Gesicht.
    Auf der anderen Seite der Fifth Avenue angelangt, legte sich die Frau mit dem Kopftuch eine blau geäderte Hand auf den Unterleib. Das war offenbar ein Zeichen oder Kommando. Ganz in der Nähe versiegten die sprühenden Fontänen des Parkbrunnens, und als die letzten Wasserstrahlen in das Becken fielen, wurde eine zweite rothaarige Frau sichtbar, die fast wie ein Spiegelbild der ersten wirkte, nur dass sie weniger bleich und abgemagert war. Auch sie drückte die Hand auf den Unterleib. In der anderen Hand hielt sie eine Schere mit starken, gekrümmten Klingen. Sie steuerte auf Colette zu.
    »Ketchup, Miss?«, fragte Littlemore. »Die meisten nehmen Senf, aber ich bin für Ketchup. Hier, bitte.«
    Unbeholfen nahm Colette das Brötchen mit dem heißen Würstchen in Empfang. »Na schön, ich probiere es.«
    Mit beiden Händen hob sie es hoch und biss ab. Die zwei Männer beobachteten sie. Auch der Blick der beiden rothaarigen Frauen, die sich aus verschiedenen Richtungen näherten, hing an ihr. Ebenso wie der einer dritten rothaarigen Gestalt bei einem Fahnenmast am Broadway, die neben einem Tuch auf dem Kopf einen mehrfach um den Hals geschlungenen Schal trug.
    »Wirklich gut!«, rief Colette. »Was haben Sie denn noch auf Ihren getan?«
    »Sauerkraut, Miss«, antwortete Littlemore. »Das ist so eine Art saurer Kohl ...«
    »Sie weiß, was Sauerkraut ist«, warf Younger ein.
    »Möchten Sie welches?«
    »Ja, bitte.«
    Die Frau unter dem Fahnenmast leckte sich die Lippen.
Eilig hasteten die New Yorker an ihr vorbei, ohne ihr oder ihrem Schal Beachtung zu schenken, der bei dem Wetter eigentlich nicht nötig war und sich merkwürdig vor ihrer Kehle wölbte. Sie hob eine Hand zum Mund, und die ausgemergelten Fingerspitzen berührten die geöffneten Lippen. Auch sie strebte nun auf die junge Französin zu.
    »Waren Sie schon weiter südlich?«, erkundigte sich Littlemore. »Wollen Sie sich vielleicht die Brooklyn Bridge anschauen, Miss?«
    »Sehr gern.«
    »Folgen Sie mir.« Der Detective warf dem Wurstverkäufer zwei kleine Münzen als Trinkgeld zu und wandte sich zur U-Bahntreppe. Dann klopfte er sich auf die Taschen. »Mist, wir brauchen noch ein Fünfcentstück.«
    Der Straßenverkäufer, der die Bemerkung des Detectives gehört hatte, fing an, in seiner Wechselgeldbüchse zu kramen, als er die drei einander seltsam ähnelnden Gestalten bemerkte, die sich seinem Karren näherten. Die ersten zwei hatten sich zusammengefunden und berührten sich im Gehen mit den Fingern. Die dritte kam aus der entgegengesetzten Richtung und hielt den dicken Wollschal um ihren Hals fest. Dem Verkäufer glitt die lange Gabel aus der Hand und verschwand in einem Topf mit siedendem Wasser. Die Münzen hatte er vergessen.
    »Ich hab eins«, sagte Younger.
    »Dann los.« Littlemore trabte die Stufen hinunter, gefolgt von Colette und Younger. Sie hatten Glück: Gerade fuhr ein Zug ein, den sie mit knapper Not erreichten. Doch auf

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