Todesinstinkt
schließen. Doch aus der Nähe erwies er sich als deutlich größer, auch wenn nicht zu erkennen war, wo die zusätzlichen Zentimeter herkamen. Seltsamerweise wirkte dadurch seine Unbeholfenheit nur umso bedrängender. »Und Ihr Geschenk.« Mrs. Meloney zeigte ihre Saphirarmbanduhr. »Noch nie im Leben habe ich ein derart bezauberndes Geschenk erhalten.«
»Und ich«, entgegnete Brighton ritterlich, »habe in meiner
Fabrik noch keinen derart bezaubernden Besuch erhalten wie von Ihnen und Ihrer Assistentin vor zwei Wochen.«
»Gütiger Himmel, Mr. Brighton«, protestierte Mrs. Meloney, »was soll denn da mein Gatte denken?«
»Warum?«, fragte Brighton beunruhigt. »Habe ich etwas Falsches getan?«
»Wenn die Männer nur immer so etwas Falsches tun würden«, schmeichelte Mrs. Meloney. »Ich muss darauf bestehen, Mr. Brighton, dass Sie unserer Zeremonie beiwohnen, wenn wir Madame Curie nächsten Mai ihr Radium überreichen – vorausgesetzt, wir können den Rest des Geldes aufbringen. Ich will den Bürgermeister dazu bewegen, den Vorsitz zu übernehmen.«
»Den Bürgermeister?«, meinte Brighton. »Warum nicht den Präsidenten? Ich rede mit Harding darüber. Bis dahin ist er im Weißen Haus. Miss Rousseau, haben Sie schon die Hauptstadt unseres Landes kennengelernt? Ich fahre hin, und zwar am ... oje, wann fahre ich hin? Wo ist nur dieser Samuels? Ohne ihn kann ich mich an rein gar nichts erinnern. Da ist er ja, der mürrische Kerl. Was sagten Sie, Mrs. Meloney?«
»Ich, Mr. Brighton? Ich glaube, Sie haben gerade von Mr. Harding gesprochen.«
»Ach ja – ich fahre nach Washington, um mich mit Harding zu treffen. Würden mir die Damen die Ehre erweisen, mich zu begleiten? Ich habe meinen eigenen Zug, wissen Sie. Sehr bequem. Sie und Miss Rousseau würden bestimmt viele wohltätige Organisationen in der Hauptstadt finden – eine wahre Fundgrube für Ihren Fonds.«
»Wir wären entzückt, nicht wahr, meine Liebe?« Mrs. Meloney wandte sich an Colette.
»Sehen Sie sich nur diesen Samuels an.« Brighton wirkte gequält. »Immer will er etwas von mir. Würden Sie mich bitte entschuldigen, meine Damen?«
»Was für ein einnehmender Mann«, verkündete Mrs. Meloney, als Brighton zu seinem Sekretär trat, der seinem Arbeitgeber einen Mantel über die Schultern legte und ihm etwas ins Ohr flüsterte. Die meisten Besucherinnen blieben noch in der Kirche und tauschten sich darüber aus, welche Radiumprodukte sie besonders schätzten. »Er hat ein Auge auf Sie geworfen, meine Liebe.«
»Auf mich?« Colette starrte Mrs. Meloney verblüfft an. »Nein, doch viel eher auf Sie.«
»Pah! Ich bin doch eine alte Frau. Nehmen Sie nur die Uhr, die er Ihnen geschenkt hat. Mit echten Diamanten. Haben Sie eine Ahnung, was so etwas wert ist?«
»Dann kann ich sie nicht behalten.«
»Warum denn nicht, um Himmels willen?«, echauffierte sich Mrs. Meloney.
»Es ist falsch, Radium für Zifferblätter zu verwenden. Und Sie dürfen diese Damen bitte auch nicht dazu ermutigen, Radiumkosmetik zu verwenden.«
»Erzählen Sie mir nicht, Sie sind Radiumskeptikerin, meine Liebe. Mein Mann ist ein Radiumskeptiker der schlimmsten Sorte, aber ich versichere Ihnen, meine Radior-Nachtcreme hat mich zehn Jahre jünger gemacht. Ich sehe das, auch wenn er nichts davon bemerkt.«
»Ich meine die Kosten«, sagte Colette. »Durch Firmen wie Radior ist Radium für Wissenschaftler unerschwinglich geworden.«
»Pah — meine Nachtcreme kostet doch nur neunundneunzig Cent.«
»Natürlich, Mrs. Meloney. Aber weil so viele Frauen diese neunundneunzig Cent bezahlen, kostet ein Gramm Radium inzwischen über hunderttausend Dollar.«
»Ich fürchte, von Wirtschaft versteht ihr Wissenschaftler einfach nichts, meine Liebe. Die Kosten des Radiums bestimmen den Preis meiner Radior-Nachtcreme, nicht umgekehrt.«
»Nein, Mrs. Meloney. Denken Sie an die vielen Menschen, die Radiumkosmetik und Radiumuhren kaufen. Je mehr von diesen Produkten verkauft wird, desto weniger Radium gibt es auf der Welt und desto mehr steigt es im Wert.«
»Mir dreht sich schon der Kopf, Miss Rousseau. Ich weiß nur, dass unser Fonds einen glänzenden Auftakt hatte. Und darauf sollten wir uns konzentrieren.«
Colette ließ nicht locker. »Aber das ist von größter Wichtigkeit. Es gibt so wenig Radium. Unternehmen wie das von Mr. Brighton verbrauchen über neunzig Prozent davon. Sie lassen fast nichts für Wissenschaft und Medizin übrig. Und das, was noch übrig ist, kann sich
Weitere Kostenlose Bücher