Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Todesinstinkt

Todesinstinkt

Titel: Todesinstinkt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heyne
Vom Netzwerk:
niemand leisten. Tausende von Menschen, die heute an Krebs leiden, werden nie mit Radium behandelt, weil die Kosten zu hoch sind. Diese Firmen bringen Menschen um – sie bringen sie buchstäblich um. Das wollte ich auch Mr. Brighton klarmachen, als wir letzte Woche seine Fabrik besucht haben, aber ich glaube, er hat mir gar nicht zugehört.«
    »Das will ich hoffen«, erwiderte Mrs. Meloney, »sonst zieht er noch seine Spende zurück. Können Sie nicht ein wenig netter zu dem lieben Mann sein? Ich wage sogar zu behaupten, dass er das ganze Gramm Radium allein finanzieren würde, wenn Sie ihn freundlich behandeln.«

    Mit jovialer Miene kehrte Mr. Brighton zurück, um sich zu verabschieden und sich nach allen Seiten zu verneigen. »Samuels sagt, dass ich losmuss. Vergessen Sie nicht, Miss Rousseau, Sie haben mir einen Ausflug nach Washington versprochen.« Er reichte der Älteren den Ellbogen. »Möchten Sie mich zur Tür bringen, Mrs. Meloney?«
    »Aber, Mr. Brighton – die Leute werden denken, dass wir gerade geheiratet haben.«
    »Nun gut. Dann müssen die Damen mich eben beide begleiten.«
    Colette versuchte, die Einladung abzulehnen, aber Mrs. Meloney wollte nichts davon hören. Nachdem sie die kurze Treppe von der Kanzel hinabgestiegen waren, durchschritten die drei den zentralen Gang des Kirchenschiffs. Am Eingang verteilte Brightons Sekretär Samuels Produkte an eine kleine Schar dankbarer Damen.
    »Sie haben den schändlichen Namen Radior erwähnt«, erläuterte Mr. Brighton. »Ich konnte nicht tatenlos zusehen, wenn für die Konkurrenz geworben wird. Wir haben gerade unsere eigene Kosmetikreihe auf den Markt gebracht. Leuchtend natürlich – überzeugen Sie sich selbst.«
    Einige Damen hatten den Lidschatten und die Wimperntusche ausprobiert und verwandelten nun die dunkle Kirchenpforte mit phosporeszierenden Kreispaaren in eine Art Grotte, aus der Nachttiere zu starren schienen. Mrs. Meloney entschuldigte sich vielmals bei Brighton; sie hatte nicht geahnt, dass seine Firma nun auch in der Kosmetikbranche tätig war, und versprach ihm, diesen Umstand gleich in der nächsten Ausgabe von The Delineator zu erwähnen. Sie und Mr. Brighton waren so vertieft in ihre Plauderei und Colette so davon abgestoßen, dass sie nichts von
der einsamen Gestalt wahrnahmen, die mit gesenktem Kopf vor ihnen im Schatten einer Kirchenbank kniete.
    »Mrs. Meloney, ich habe meine Elemente beim Pult vergessen«, sagte Colette schließlich. »Ich muss sie holen.«
    »Seien Sie nicht unhöflich, meine Liebe«, mahnte die Ältere. Sie zog fest an Brightons Arm, und der Industrielle wiederum zog Colette mit.
    Als sie sich den hinteren Bankreihen näherten, bewegte sich die kniende Gestalt. Eine Kapuze verdeckte ihren Kopf.
    »Ja, verlassen Sie mich nicht, Miss Rousseau«, bat Brighton. »Ich schicke Samuels nach Ihren Sachen.«
    Colette antwortete nicht. Ihre Kehle war auf einmal wie ausgetrocknet. Die vermummte Gestalt war plötzlich in den Gang getreten und versperrte ihnen den Weg. Flaumiges rotes Haar lugte aus der Kapuze. Es war eine Frau, deren knochige Hand auf einem Schal um ihren Hals ruhte. Unter dem Schal schien etwas verborgen, das hervorzuquellen drohte.
    »Können wir Ihnen helfen, meine Liebe?«, fragte Mrs. Meloney.
    Colette wusste, dass sie ihre Begleiter hätte warnen müssen. Aber sie war wie gebannt. Die Augen des ausgemergelten Geschöpfs schienen sie anzurufen. Es war, als würden sie die Verbindung zwischen ihr und Mr. Brighton und Mrs. Meloney — die ineinandergehakten Arme, die offenkundige Eintracht — verdammen. Eine Hand hob sich und winkte Colette heran. Colette spürte, wie ihr Widerstand schwand. Aus Gründen, die ihr unerklärlich waren – vielleicht lag es einfach daran, dass sie sich in einer Kirche befand, vielleicht aber auch an den Nachwirkungen der erschütternden Ereignisse in den letzten zwei Tagen –, hatte sie das Gefühl, der Hand der Gestalt nicht mit Grauen begegnen zu müssen,
sondern mit Freundlichkeit. Was auch immer der Grund war, Colette streckte der verhüllten Frau den Arm entgegen. Ihre Finger stießen aufeinander.
    Die Berührung war abstoßend klamm und strahlte etwas Krankes und Ansteckendes aus, als wäre das Geschöpf einem fauligen Tümpel entstiegen, in den es bald wieder zurückkehren musste. Die Gestalt klammerte die Finger um Colettes Hand und machte einen Schritt zurück, so dass sie Colette mitzerrte.
    »Schluss jetzt.« Mrs. Meloney klang, als würde sie unartige

Weitere Kostenlose Bücher