Todesjagd
verhält, ist er kein Ja-Sager. Er richtet sich nach der Stimme seines Gewissens, wodurch er sich in regelmäßigen Abständen mehr Feinde als Freunde macht. Aber die Öffentlichkeit liebt seinen unabhängigen Geist. Deshalb stellt er sich zur Wahl. Er hat das Gefühl, eine Alternative zum Status quo zu sein.«
»Ein Mann des Volkes«, sagte Orlando.
»Ja«, entgegnete Jenny. »Stimmt genau. Aber Steven hat gesagt, obwohl Guerreros Frau bei LP sei, habe die Organisation keine Kontrolle über ihn. Doch nun haben sie ja eine Verwendung für ihn gefunden.«
»Sie wollen ihn also töten, weil sie keine Kontrolle über ihn haben«, sagte Nate. »Warum provozieren sie nicht einfach einen Skandal? Zwingen ihn zurückzutreten?«
»Darf ich dich etwas fragen?«, sagte sie und sah Nate an. »Was würde geschehen, wenn man einen amerikanischen Präsidentschaftskandidaten im Ausland ermorden würde?«
»Das würde ziemlich hohe Wellen schlagen«, sagte Nate.
»Und was wäre, wenn die Beweise darauf hinweisen, dass der Mörder im Auftrag von islamischen Extremisten handelt?«
Nate bekam große Augen.
»Dann wären wir wieder genau da, wo wir am elften September waren.«
»Vielleicht nicht in diesem Ausmaß, aber in jedem Fall auf dem Weg dahin«, sagte Jenny. Sie wollte noch etwas hinzufügen, aber Quinn unterbrach sie:
»Sie verändern die Dynamik.« Es war keine Frage, sondern eine Feststellung. »Je weiter wir uns als Land in uns selbst zurückziehen, umso schwerer wird es der Präsident haben, wiedergewählt zu werden.«
»Du vergisst eins«, sagte Jenny.
»Was?«
»Wenn Guerrero erst einmal tot ist, wird seine Frau seine Stelle auf der Wahlliste einnehmen.«
Sekundenlang sagte keiner ein Wort.
»O mein Gott!«, rief Orlando aus. »Sie macht auf Corazon Aquino. Nicht dass Corazon Aquino ihren Mann getötet hätte, und er ist damals nicht zur Wahl angetreten, aber im Grunde wurde ihre politische Karriere durch seinen Tod gefördert.«
»Ich glaube nicht, dass Guerreros Frau in derselben Liga spielt wie Corazon Aquino«, sagte Quinn.
»Vielleicht nicht«, entgegnete Orlando, »aber sie ist eine Frau und eine Weiße … die weiße Witwe eines Mannes, auf den der Feind ein tödliches Attentat verüben will. Sie ist eine sehr bekannte Persönlichkeit. Ihre Ansichten werden der veränderten nationalen Psyche entgegenkommen. Und wenn ihre Freunde bei LP noch mehr Zwischenfälle provozieren, bei denen der Präsident eventuell in eine höchst peinliche Lage gerät, wird sie einen erdrutschartigen Wahlsieg davontragen.«
Quinn versuchte sich Jody Goodman als nächste Präsidentin der Vereinigten Staaten vorzustellen. Es fiel ihm nicht leicht, aber es war nicht ausgeschlossen.
»Guerrero soll also hier in Singapur ermordet werden?«, fragte Quinn.
»Ja«, sagte Jenny. »Deshalb wollte ich ja mit ihm sprechen.«
»Er fliegt heute Abend in die Vereinigten Staaten zurück«, sagte Orlando.
»Und deshalb haben wir keine Zeit, drauf zu warten, dass das Tape wieder funktioniert«, sagte Jenny. »Das Einzige, was ich weiß, ist, dass es irgendwo in der Öffentlichkeit geschehen soll. Irgendwo auf seiner Reiseroute.«
Orlando ging hastig zu ihrem Computer zurück. Einen Moment später blickte sie auf.
»Das Maxwell Food Centre«, sagte sie. »Es ist der einzige öffentliche Auftritt, der noch auf seinem Terminplan steht. Er wird um ein Uhr mittags dort erwartet.«
Quinn schaute auf seine Uhr. Es war elf Uhr zehn.
»Wo ist er jetzt?«, fragte er.
Orlando sah wieder auf ihren Bildschirm.
»Das Meeting in der US-Botschaft müsste in diesen Minuten zu Ende gehen. Dann muss er zu einem Treffen im Von Feldt Building, ehe er nach Chinatown ins Maxwell Food Centre weiterfährt.«
»Er ist also jetzt gerade in der Botschaft?«, erkundigte sich Quinn.
»Ja.«
»Nate«, sagte Quinn. »Zieh dich an und besorg uns einen Wagen. Orlando, sammle dein Equipment ein.« Er sah Jenny an.
»Ich komme mit«, sagte sie.
Obwohl er sie am liebsten im Apartment zurückgelassen hätte, war sie vielleicht die Einzige, die Guerrero überzeugen konnte, wenn sich die Situation zuspitzte.
»Frag Nate, ob er ein sauberes T-Shirt für dich hat.«
Während sich die anderen fertig machten, rief Quinn in der Botschaft an.
»Kenneth Murray, bitte«, sagte er, als jemand abnahm.
Er wurde gebeten, ein paar Sekunden zu warten, dann wurde er durchgestellt.
»Das Büro von Kenneth Murray.« Eine sanfte junge Frauenstimme. In Murrays Fall
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