Todesjagd
kümmern, ob Quinn auch hereinkommen wollte.
Ein paar Minuten später kamen noch mehr Leute, lauter Koreaner. Einige sahen Quinn an, als fragten sie sich: »Sollte ich dich kennen?« Die meisten ignorierten ihn aber.
Um drei viertel vier fuhr eine schwarze Limousine vor dem Haus vor. Hinten stieg ein älteres Ehepaar aus. Quinn vermutete, dass die Frau mindestens achtzig und der Mann noch ein paar Jahre älter war. Als die beiden auf dem Gehsteig standen,
stieg noch jemand aus dem Wagen. Eine viel jüngere Frau.
Sie trug ein wadenlanges schwarzes Kleid, konservativ, aber elegant, und eine einfache Brille mit Metallgestell. Das Haar hatte sie aus dem Gesicht zurückgekämmt. Obwohl sie hohe Absätze trug, konnte sie kaum größer sein als eins sechzig. Aber anders als die anderen Ankömmlinge war sie nur zur Hälfte Koreanerin. Ihr Vater war halb Thai, halb amerikanischer Ire und machte daher seine Tochter Orlando zu einer echt amerikanischen Mischung.
Als sie auf den Gehsteig trat, um sich dem Paar anzuschließen, warf sie einen Blick zur Haustür. Dort erblickte sie Quinn und blieb, die Augen auf ihn geheftet, stehen. Dann schien sie sich zu entspannen - was möglicherweise nur er bemerkte, ihre Schultern lockerten sich, ihr Mund öffnete sich leicht zum Anflug eines Lächelns.
Quinn stemmte sich von der Treppe hoch und ging auf sie zu. Sie hatte Tränen in den Augen, als sie ihm entgegenkam und in seine Arme fiel. Das ältere Paar, mit dem sie gekommen war, setzte seinen Weg zum Haus fort. Die Augen starr geradeaus gerichtet, taten sie so, als merkten sie nichts von der plötzlichen öffentlichen Zurschaustellung.
Quinn legte eine Hand auf Orlandos Rücken und rieb mit der anderen ihre Schulter.
»Du bist gekommen«, sagte sie, ohne aufzublicken.
»Dir entgeht aber auch nichts«, sagte er.
Er spürte ihr Lächeln an seiner Brust, dann hob sie die linke Hand und boxte ihn in den Arm.
Als sie sich schließlich von ihm löste, sagte er: »Tut mir leid, dass ich es nicht rechtzeitig zur Trauerfeier geschafft habe.«
»Das ist okay. Ich habe deine Nachricht bekommen. Ich hatte einfach … zu viel zu tun.«
Sie blickte zum Eingang des Hauses hinüber. Eine Frau stand dort, es war diejenige, die als Erste eingetroffen war. Sie sah auf Orlando hinunter und winkte ihr hereinzukommen.
»Komm«, sagte Orlando zu Quinn.
Als sie eintraten, sagte die Frau etwas auf Koreanisch zu Orlando. Nachdem Orlando geantwortet hatte, sah die Frau Quinn an und ging.
»Die Schwägerin von Tante Jay«, sagte Orlando. Jay war der Kosename von Tante Jeong. »Sie scheint zu glauben, dass ihr jetzt alles hier gehört.«
»Und, ist es so?«
»Nein«, sagte Orlando. »Es gehört mir.«
»Du könntest es ihr schenken.«
»Keine Chance.«
Wie für ein Shotgun House üblich, war Tante Jeongs Haus viel länger als breit, wobei sich von vorn nach hinten ein Zimmer an das nächste reihte. Gleich hinter der Haustür war ein kleines Wohnzimmer, vollgestellt mit alten Möbeln. Die Wände waren mit Bildern bedeckt: ein Gemälde von Christus, ein paar Landschaften und verschiedene Fotografien. Mehrere Gäste hatten es sich bereits auf der Couch und auf den beiden schäbigen Lehnsesseln bequem gemacht.
Orlando führte ihn in einen Flur, der an der linken Seite des Hauses entlanglief. Sie kamen an der Treppe zum ersten Stock vorbei, an einem kleinen Badezimmer, einem Gästezimmer und einem herkömmlichen Essbereich, ehe sie am Ende des Flurs die Küche betraten.
Hier hatten sich die meisten Gäste versammelt. Mehr als ein Dutzend hatten sich hineingezwängt. Als er und Orlando näher kamen, hörte Quinn, dass sie sich auf Koreanisch unterhielten, aber verstummten, sobald er zur Küche hereinkam.
Orlando sagte etwas zu ihnen. Das einzige Wort, das er heraushören konnte, war »Jonathan«. Zwei oder drei Männer nickten ihm zu, die Frauen aber starrten ihn nur ausdruckslos an.
Orlando wandte sich an ihn.
»Noch mehr Schwägerinnen und Schwäger meiner Tante«, flüsterte sie ihm zu. »Sie denken, du bist mein weißer Freund.«
»Und wenn ich Koreaner wäre?«
»Sie würden Stühle für dich herausziehen und dich mit Essen vollstopfen.«
Quinn lächelte. Die Wahrheit war, dass er Verwandte hatte, die Orlando im umgekehrten Fall genauso behandelt hätten.
Orlando nahm zwei Plastikbecher vom Küchentisch und gab Quinn einen. »Hier«, sagte sie, »Limonade.«
Sie standen eine Weile in der Küche, Orlando unterhielt sich zuerst mit
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