Todeskampf - Robotham, M: Todeskampf - The Night Ferry
zu füllen. Eine Kehrmaschine mit rotierenden Bürsten scheint die Pflastersteine mit nächtlichem Regen blank zu polieren. Die meisten Fenster in den Walletjes sind geschlossen, die Vorhänge zugezogen. Um diese Uhrzeit sind nur die Einsamen und Verzweifelten unterwegs.
Ich frage mich, was es für ein Gefühl ist, ein Flüchtling zu sein – fremd an einem Ort und gleichzeitig mutlos und voller Hoffnung. Darauf zu warten, was als Nächstes geschieht. So habe ich nie gelebt.
Hokke erwartet mich in dem Café. Er weiß von Samira. »Ein Vögelchen hat es mir erzählt«, sagt er und hebt den Blick. Wie aufs Stichwort fliegt in diesem Moment von einem Ast über uns eine Taube auf.
In dem Café pfeifen Kessel und klappern Töpfe. Tresenpersonal und Bedienung begrüßen Hokke mit Winken, Rufen und Händeschütteln. Er lässt mich einen Moment allein und bahnt sich einen Weg zwischen den Tischen. Die Küchentür steht offen. Drei junge Männer stehen tief über die Spülbecken gebeugt und schrubben Pfannen. Sie begrüßen Hokke respektvoll, er zerzaust ihre Haare und macht einen Witz.
Ich sehe mich in dem Café um. Bis auf ein paar Hippies, die um einen Tisch sitzen und sich durch das Klicken und Klacken der in ihre Haare geflochtenen Perlen zu verständigen scheinen, ist das Lokal fast leer. Ein Mädchen im Teenageralter sitzt allein über einem heißen Getränk. Sie wirkt verwahrlost und hohläugig, genau der Typ, dem die Zuhälter mit warmen Mahlzeiten und leeren Versprechungen auflauern.
Hokke ist aus der Küche zurückgekehrt. Auch er hat das Mädchen bemerkt. Er winkt eine Kellnerin heran und bestellt leise ein Frühstück für sie, Toast, Marmelade, Käse und Schinken. Sie nimmt das Geschenk unsicher an, weil sie irgendeinen Haken vermutet, und macht sich dann gierig über das Essen her.
Er wendet sich wieder mir zu.
»Ich muss Samira finden.«
»Schon wieder.«
»Es muss einen Weg geben. Flüchtlinge haben Netzwerke. Das haben Sie selbst gesagt. Außerdem haben Sie einen Namen erwähnt: de Souza. Könnte er mir vielleicht helfen?«
Hokke legt einen Finger auf seine Lippen, beugt sich vor und spricht aus dem Mundwinkel wie ein Gefangener unter den Augen des Wärters. »Bitte seien Sie äußerst vorsichtig mit der Erwähnung dieses Namens.«
»Wer ist das?«
Hokke antwortet nicht sofort. Er gießt sich Kaffee aus einer Kanne ein, Metall stößt klappernd auf Glas. »Trotz allem, was Sie gelesen haben, zeichnen sich die Niederlande weniger dadurch aus, was erlaubt ist, als dadurch, was verboten ist. Wir haben keine Slums. Graffiti werden rasch wieder entfernt. Zerbrochene Scheiben werden ersetzt, verlassene Fahrzeuge abgeschleppt. Wir erwarten, dass unsere Züge und Straßenbahnen pünktlich fahren. Wir reihen uns brav in Warteschlangen ein. Das verändert natürlich nicht die Menschen an sich, sondern bloß die Ästhetik.«
Er weist mit dem Kopf Richtung Küche. »In den Niederlanden gibt es eine halbe Million illegal Beschäftigte – Iraner, Sudanesen, Afghanen, Bosnier, Kosovaren, Iraker. Sie arbeiten in Restaurants, Hotels, Wäschereien und Fabriken. Ohne sie würden keine Zeitungen zugestellt, kein Bezug und kein Laken aus einem Hotel gewaschen. Gebäude blieben ungeputzt. Die Menschen beschweren sich, aber ohne die Illegalen kämen wir nicht zurecht.«
In seiner Hand taucht eine Pfeife auf. Sorgfältig stopft er mit dem Daumen Tabak in den Kopf, bevor er ein Streichholz anzündet, das flackernd erlischt, als er an der Pfeife zieht.
»Stellen Sie sich vor, jemand könnte eine derartige Arbeiterarmee befehligen. Er wäre mächtiger als jeder Gewerkschaftsführer oder Politiker.«
»Gibt es so jemanden?«
Er senkt seine Stimme zu einem Flüstern. »Sein Name ist Eduardo de Souza. Niemand in dieser Stadt verfügt über mehr tatsächliche Macht als er. Er hat eine Armee von Kurieren, Putzkolonnen, Fahrern und Spionen. Er kann Ihnen alles besorgen, eine Pistole, einen falschen Pass, ein Kilo allerbestes afghanisches Opium. Drogenhandel und Prostitution machen nur einen kleinen Teil seines Imperiums aus. Er weiß, welcher Politiker mit welchem Mädchen schläft und welche Illegalen sein Haus sauber halten, seine Kinder hüten und seine Gärten pflegen. Das ist echte Macht. Schicksale beeinflussen und gestalten.«
Er lehnt sich zurück und blinzelt mich aus seinen blauen Augen durch den dichten Pfeifenrauch an.
»Sie bewundern ihn.«
»Er ist ein sehr interessanter Mann.«
Die Antwort klingt
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