Todeskampf - Robotham, M: Todeskampf - The Night Ferry
dass du einen Disput auf den Punkt bringst. Was meinst du, Dayel?«
Der Inder wiegt den Kopf hin und her, stolz, als Nächster gefragt zu sein.
»Freundschaft ist für jeden etwas anderes, und sie verändert sich ein Leben lang. Mit sechs geht es darum, mit seinem besten Freund Händchen zu halten. Mit sechzehn geht es um das vor einem liegende Abenteuer. Mit sechzig um die Erinnerung.« Er hebt einen Finger. »Man kann sie nicht mit einem Wort zusammenfassen,
aber Aufrichtigkeit kommt dem vielleicht am nächsten – «
»Nein, nicht Aufrichtigkeit«, unterbricht Farhad ihn. »Im Gegenteil, oft müssen wir unsere Freunde vor dem schützen, was wir wirklich denken. Es ist eine Art stille Übereinkunft. Wir übersehen die Fehler des anderen und bewahren unsere Geheimnisse. In einer Freundschaft geht es nicht um Ehrlichkeit. Die Wahrheit ist eine zu scharfe Waffe, um damit in Gegenwart eines Menschen herumzufuchteln, dem wir mit Respekt und Vertrauen begegnen. Bei der Freundschaft geht es um ein Bewusstsein von uns selbst. Wir sehen uns durch die Augen unserer Freunde. Sie sind wie ein Spiegel, in dem wir sehen können, wie unsere Reise verläuft.«
De Souza räuspert sich. Ich frage mich, ob ihm der Respekt, den er anderen einflößt, bewusst ist. Ich vermute, dass er zu intelligent und zu sehr Mensch ist, um es zu übersehen.
»Freundschaft lässt sich nicht definieren«, sagt er streng. »In dem Moment, wo wir anfangen, Gründe dafür anzuführen, warum wir mit jemandem befreundet sind, beginnen wir, die Magie der Freundschaft zu unterminieren. Niemand will hören, dass er für sein Geld, seine Großzügigkeit, seine Schönheit oder seinen Witz geliebt wird. Wenn man ein Motiv wählt, gibt man dem anderen nur die Gelegenheit zu sagen: ›Ist das der einzige Grund?‹«
Die Anderen lachen. De Souza stimmt mit ein. Dies ist eine Vorstellung. »Der Versuch zu erklären, warum wir bestimmte Freundschaften eingehen«, fährt er fort, »ist, als würde man versuchen, jemandem zu erklären, warum man bestimmte Musik oder ein bestimmtes Essen mag. Wir mögen es einfach.«
Er sieht mich jetzt direkt an. »Ihre Freundin heißt Cate Beaumont.«
Woher weiß er das?
»Waren Sie je eifersüchtig oder neidisch auf sie?«
»Ich weiß nicht, was Sie meinen.«
»Freunde können neidisch aufeinander sein. Oscar etwa beneidet mich um meine Position und meinen Reichtum.«
»Überhaupt nicht, mein Freund«, beschwört Oscar ihn.
De Souza lächelt wissend. »Haben Sie Cate Beaumont um ihre Schönheit oder ihren Erfolg beneidet?«
»Manchmal.«
»Sie haben sich gewünscht, dass sie weniger und Sie mehr davon hätten?«
»Ja.«
»Das ist nur natürlich. Freundschaften können sehr zwiespältig und widersprüchlich sein.«
»Jetzt ist sie tot«, füge ich noch hinzu, obwohl ich spüre, dass er das auch schon weiß.
»Sie hat Geld für ein Baby bezahlt. Eine kriminelle Handlung«, erklärt er scheinheilig.
»Ja.«
»Und Sie versuchen, sie zu schützen?«
»Ich versuche, die Leihmutter und die Babys zu retten.«
»Vielleicht wollen Sie ein Baby für sich?«
Mein Leugnen klingt ein wenig zu schrill. Ich mache alles nur noch schlimmer. »Ich habe nie … ich will nicht …«
Er greift in einen kleinen Beutel, der an seinem Gürtel hängt. »Halten Sie mich für einen Verbrecher, Miss Barba?«
»Ich weiß nicht genug – «
»Sagen Sie mir Ihre Meinung.«
Ich zögere. Die anderen beobachten mich mit einer Mischung aus Faszination und Belustigung.
»Das zu beurteilen, steht mir nicht zu«, stottere ich.
Schweigen. Schweiß tropft in mein Kreuz und rinnt über meine Wirbel.
De Souza wartet. Er beugt sich vor, bis sein Gesicht nur noch Zentimeter von meinem entfernt ist. Seine untere Zahnreihe ist bröckelig, zerklüftet und vergilbt wie eine verblichene Zeitung. Doch kein so perfektes Gesicht.
»Sie haben mir gar nichts zu bieten«, sagt er abschätzig.
Ich spüre, wie mir die Situation entgleitet. Er wird mir nicht helfen.
All der in mir angestaute Ärger, die Bilder von Zala und meine Rachegedanken finden mit einem Mal ein Ventil, und die Worte sprudeln aus mir heraus. »Ich denke, Sie sind ein Verbrecher und Frauenverächter, aber Sie sind kein böser Mensch. Sie beuten keine Kinder aus oder verkaufen Babys an den Meistbietenden.« Ich weise auf Sundays Frau, die hereingekommen ist, um die Teller abzudecken. »Sie würden von dieser Frau, der Frau eines Freundes, nie verlangen, dass sie eines ihrer Kinder
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