Todeskampf - Robotham, M: Todeskampf - The Night Ferry
Hilfe. Wie lang wird es dauern?
Yanus stemmt mit der Schulter die verschlossene Tür auf und stürzt, das Messer vorausgestreckt, in die Kabine. Auf halbem Weg blickt er zu Boden. Unter seinem erhobenen Fuß liegt die Nachgeburt – lila, glitschig und glänzend. Ich weiß nicht, was er glaubt, worum es sich handelt, aber die Möglichkeiten sind so zahlreich, dass sie sein Verständnis übersteigen. Er weicht zurück, und ich stoße die Schere in das weiche Fleisch auf der Rückseite seines rechten Knies. Dabei ziele ich auf die Arterie sowie die Sehnen, die sein Bein bewegen. Er knickt ein und stößt mit dem Messer in einem weiten Bogen nach unten, aber die Klinge streift nur mein rechtes Ohr.
Ich packe seinen Arm, klemme ihn ein und stoße die Schere in die Innenbeuge seines Ellenbogens, wo ich eine weitere Arterie durchtrenne. Das Messer gleitet ihm aus der Hand.
Er versucht, sich umzudrehen und mich zu packen, doch ich bin schon außer Reichweite. Blitzschnell bin ich auf den Beinen und springe ihm in den Rücken. Er geht zu Boden. Wenn ich wollte, könnte ich ihn töten. Ich könnte die Klinge in seine Niere rammen.
Stattdessen ziehe ich das Klebeband aus seiner Tasche. Sein rechtes Bein zuckt wie die hölzerne Gliedmaße einer Marionette. Ich drehe seinen unverletzten Arm auf den Rücken und binde ihn mit einer Schlinge, die ich von hinten um seinen Hals lege, fest. Mit einem weiteren Stück Klebeband knebele ich ihn.
Yanus stöhnt. Ich packe sein Gesicht. »Hör mir zu. Ich habe die Arterie in deiner Kniekehle und deine Oberarmschlagader durchtrennt, wie du wahrscheinlich bereits spürst, weil du ein Experte mit dem Messer bist. Dann ist dir sicher auch klar, dass du verblutest, wenn du den Druck auf diese Wunden nicht aufrechterhältst. Das heißt, du musst dich hinhocken und den Arm gebeugt halten. Ich schicke jemanden, der dir hilft. Wenn du meine Ratschläge befolgst, lebst du dann vielleicht noch.«
Samira hat das Ganze mit distanzierter Neugier beobachtet. Sie kriecht von der Pritsche, macht ein paar schwerfällige Schritte, bückt sich und spuckt Yanus ins Gesicht.
»Wir müssen hier weg.«
»Geh du. Nimm die Babys mit.«
»Ich gehe nicht ohne dich.«
Ich nehme den kleineren Zwilling, das Mädchen, das mich mit offenen Augen ansieht. Samira nimmt den schlafenden Jungen. Ich spähe vorsichtig in den Korridor. Pearl kann jeden Moment zurückkommen.
Samira hat ein Handtuch zwischen die Schenkel gepresst. So schnell, wie sie vorwärtsstolpern kann, gehen wir zu der Treppe. Der Gang ist so eng, dass ich gegen die Wände pralle, während ich versuche, Samiras Arm festzuhalten. Die Passagiere schlafen, und ich weiß nicht, welche Kabinen belegt sind.
Es gibt einen Personallift, aber ich kann die Türen nicht öffnen.
Samiras Beine geben nach. Ich fange sie auf. Wir sind auf Deck neun. Die Brücke ist auf Deck zehn. Sie ist nicht kräftig genug, um die Treppe hinaufzusteigen. Ich muss sie von der Kabine wegbringen und verstecken.
Wir kommen an einem Wäscheraum vorbei, in dem sich Bettwäsche auf Regalen stapelt. Ich könnte sie hier verstecken und Hilfe holen. Nein, ich darf sie nicht allein lassen.
Ich höre eine Bewegung. Irgendjemand ist wach. Als ich an die Kabinentür hämmere, wird sie eilig geöffnet. Ein Mann mittleren Alters in Schlafanzug und grauen Socken sieht mich fassungslos an. Der Ausschnitt seines Pyjamaoberteils lässt einen Teil seiner stark rötlich behaarten Brust frei, sodass es aussieht, als würde seine Füllung herausquellen.
Ich schiebe Samira in die Kabine. »Helfen Sie ihr! Ich muss einen Arzt suchen!«
Der Mann sagt etwas auf Deutsch. Dann sieht er das blutige Handtuch zwischen ihren Beinen. Ich reiche ihm das kleine Mädchen an.
»Wer sind Sie?«
»Polizei. Wir haben keine Zeit für Erklärungen. Helfen Sie ihr!«
Samira rollt sich, den Arm um den anderen Zwilling gelegt, auf der Pritsche zusammen.
»Machen Sie niemandem auf. Keiner darf wissen, dass sie hier ist.«
Bevor er etwas einwenden kann, trete ich in den Gang zurück und renne zur Treppe. Die Passagierlounge ist bis auf zwei ungehobelt aussehende Männer, die vor Schnapsgläsern hocken, menschenleer. An der Kasse feilt eine Frau ihre Fingernägel.
Ich rufe brüllend nach dem Kapitän. Aber es ist nicht meine verzweifelte Stimme, die sie am meisten beeindruckt. Es ist das Blut an meinen Kleidern. Ich komme aus einem Albtraum, aus einer anderen Welt.
Menschen rennen. Mitglieder der Mannschaft eilen
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