Todeskampf - Robotham, M: Todeskampf - The Night Ferry
Mädchen?«
»Eine Asylbewerberin.«
»Hmm. Lassen Sie uns beim Frühstück darüber reden.«
Er kennt ein Lokal. Wir können zu Fuß gehen. Die Kreuzung ist ein einziges Gewimmel aus Straßenbahnen, Autos und Fahrrädern. Hokke bewegt sich zwischen ihnen mit der Selbstsicherheit einer Gottheit, die über einen See wandelt.
Ich fange schon an, mich in Amsterdam zu verlieben. Mit seinen gepflasterten Plätzen, Kanälen und Zuckerbäckerfassaden ist es hübscher und sauberer als London. Ich fühle mich sicher hier: die anonyme Fremde.
»Häufig wünschen Leute eine Führung durch den Rotlichtbezirk«, erklärt Hokke. »Schriftsteller, Soziologen, ausländische Politiker. Ich mache immer zwei Rundgänge mit ihnen – einen tagsüber und einen am Abend. Es ist, als würde man zwei Seiten einer Münze betrachten, die helle und die dunkle.«
Hokke hat einen schlendernden Gang, bei dem er die Hände hinter dem Rücken verschränkt. Hin und wieder bleibt er stehen, um ein markantes Gebäude oder ein Schild zu erklären. »Straat« heißt Straße, »Steeg« Gasse.
»War das Ihr Viertel?«, fragt Ruiz.
» Selbstverständlich.«
»Wann sind Sie in Pension gegangen?«
»Vor zwei Jahren. Und Sie?«
»Vor einem.«
Sie nicken einander wissend zu.
Wir biegen um eine Ecke, und ich sehe zum ersten Mal die
berühmten »Fenster« von Amsterdam. Auf den ersten Blick scheinen es bloß einfache Glastüren mit Holzrahmen und einem Messingschild mit Nummer darüber zu sein. Bei einigen sind die Vorhänge zugezogen. Andere sind fürs Geschäft geöffnet.
Erst als ich näher komme, sehe ich, was das bedeutet. Eine schlanke dunkle Frau sitzt in Paillettenbikini, G-String und hohen Stiefeln mit übergeschlagenen Beinen auf einem Hocker. In dem Schwarzlicht sind die Prellungen an ihren Oberschenkeln nur als blasse Flecken sichtbar.
Irgendwie fühle ich mich durch ihre unverhohlene Pose und deren offensichtlichen Zweck herabgesetzt. Sie beobachtet mich mit aggressivem Blick. Sie will nicht, dass ich mit diesen Männern hier bin. Ich werde sie davon abhalten, an ihre Tür zu kommen.
Wir gehen durch weitere enge Gassen, in denen sich die Fenster bisweilen so dicht gegenüberliegen, dass mein Blick hin und her schießt, als würde ich ein Tennismatch verfolgen. Ruiz hingegen blickt stur geradeaus.
Eine hochgewachsene Dominikanerin ruft Hokke etwas zu und winkt. Sie trägt einen Push-up-BH mit roten Troddeln, der ihre massige Brust stützt, doch ihr Bauch quillt so weit vor, dass man ihre Scham nicht sehen kann.
Hokke bleibt stehen, wechselt ein paar Sätze auf Holländisch mit ihr und schließt wieder zu uns auf.
»Sie hat vier Kinder«, erklärt er. »Eins studiert. Sie ist seit zwanzig Jahren Prostituierte, aber immer noch eine Frau.«
»Was meinen Sie damit?«
»Manche werden zu Huren.«
Er winkt weiteren Prostituierten zu, die ihm Kusshändchen zuwerfen oder sich neckisch auf die Hand schlagen. Ein Stück die Straße hinunter tritt eine alte Frau aus einem Laden und umarmt ihn wie einen seit langem verlorenen Sohn, bevor sie ihm eine Tüte Kirschen in die Hand drückt.
»Das ist Gusta«, erklärt er und stellt uns vor. »Sie arbeitet immer noch hinter den Fenstern.«
»Teilzeit«, erinnert sie ihn.
»Aber Sie müssen doch – «
»Fünfundsechzig«, erklärt sie stolz. »Ich habe fünf Enkel. «
Hokke lacht über unsere verblüfften Gesichter. »Sie fragen sich wahrscheinlich, wie viele Freier mit einer Oma schlafen wollen.«
Gusta stützt ihre Hände in die Hüften und wiegt sie verführerisch. Hokke sucht nach einer höflichen Antwort auf unsere Frage.
»Vor den Fenstern einiger jüngerer, hübscherer Mädchen stehen die Männer Schlange. Deshalb ist es ihnen egal, ob ein Mann zu ihnen zurückkommt. Es warten garantiert jede Menge andere. Aber eine Frau wie Gusta kann sich nicht auf ein süßes Lächeln und einen festen Körper verlassen. Deshalb muss sie guten Service und eine gewisse Raffinesse anbieten, die mit der Erfahrung kommt.«
Gusta nickt zustimmend.
Hokke scheint die Prostituierten oder ihre Arbeit nicht abzulehnen. Die Drogenabhängigen und Dealer sind eine ganz andere Geschichte. Ein Nordafrikaner lehnt am Geländer einer Brücke. Als er Hokke erkennt, tänzelt er auf ihn zu. Hokke bleibt nicht stehen. Der Afrikaner hat vom Betelkauen verfärbte Zähne und erweiterte Pupillen. Hokkes Miene bleibt ausdruckslos. Der Afrikaner plappert auf Holländisch und grinst irre. Hokke geht immer weiter.
»Ein
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