Todeskampf - Robotham, M: Todeskampf - The Night Ferry
sind mehr Fenster offen. Frauen klopfen an die Scheibe, um Hokkes Aufmerksamkeit zu erregen. Eine Marokkanerin schüttelt provozierend ihre Brüste. Eine andere gibt sich selbst einen Klaps auf den Hintern und wiegt die Hüften zu einem Lied, das nur sie hören kann.
»Kennen Sie sie alle?«, frage ich.
Er lacht. »Früher vielleicht einmal. Inzwischen gibt es eine Art Mauer zwischen Polizei und Prostituierten. Früher waren es noch mehr Holländerinnen. Dann kamen die Dominikanerinnen und Kolumbianerinnen. Danach die Surinamesinnen. Heute haben wir Nigerianerinnen und Mädchen aus Osteuropa.«
Jede Straße ist anders, erklärt er. Der Oudekerksteeg ist das afrikanische Viertel. Die Südamerikanerinnen sind im Boomsteeg, die Asiatinnen im Oudekennissteeg und im Barndesteeg, während die Bloedstraat die Heimat der Transsexuellen ist. Die Osteuropäerinnen sind im Molensteeg und am Achterburgwal.
»Es wird immer schwieriger, Geld zu verdienen. Eine Prostituierte
braucht mindestens zwei Freier, bevor die Miete für ihr Fenster bezahlt ist. Weitere vier für den Anteil des Zuhälters. Sechs Männer hat sie hinter sich und immer noch keinen Cent für sich selbst verdient.
Früher sparten die Prostituierten, um sich ein Fenster zu kaufen, das sie dann später an andere Mädchen vermieten konnten. Mittlerweile gehören die Fenster Firmen, die sie auch zur Geldwäsche benutzen, indem sie behaupten, dass die Mädchen mehr verdienen, als sie es in Wahrheit tun.«
Hokke will nicht melancholisch klingen, kann aber nicht anders. Er sehnt sich nach der guten alten Zeit.
»Das Viertel ist heute sauberer. Weniger gefährlich. Die Probleme haben sich verlagert, aber verschwinden werden sie nie.«
Wir gehen an einem Kanal entlang, vorbei an Stripclubs und Kinos. Von weitem sehen die Sexshops aus wie Andenkenläden. Erst aus der Nähe erkennt man, dass es sich bei dem grellbunten Nippes um Dildos und falsche Vaginen handelt. Ich bin fasziniert und irritiert. Ich will in die Auslagen starren und herausfinden, wozu man was im Einzelnen benutzt.
Hokke ist um eine Ecke gebogen und klopft an eine Tür. Sie wird geöffnet von einem Mann mit einer gewaltigen Wampe und Koteletten. In dem kleinen Lagerraum hinter ihm ist kaum genug Platz, sich umzudrehen. An den Wänden reihen sich Pornovideos und Filmrollen.
»Das ist Nico, der fleißigste Filmvorführer in Amsterdam.«
Nico grinst uns an und wischt sich die Hände an seinem Hemd ab.
»Dieser Laden ist schon länger hier als ich«, erklärt Hokke. »Sehen Sie! Hier werden immer noch Super-8-Filme gezeigt.«
»Einige der Schauspielerinnen sind mittlerweile Großmütter«, sagt Nico.
»Wie Gusta«, fügt Hokke hinzu. »Sie war einmal sehr schön.«
Nico nickt bestätigend.
Hokke fragt ihn, ob er von afghanischen Mädchen weiß, die hinter Fenstern oder in Clubs arbeiten.
»Afghanische Mädchen? Nein, ich erinnere mich an eine Irakerin. Weißt du noch, Hokke? Basinah. Du hattest eine Schwäche für sie.«
»Ich doch nicht«, dementiert der ehemalige Polizist lachend. »Sie hatte Probleme mit ihrem Vermieter und wollte, dass ich ihr helfe.«
»Hast du ihn verhaftet?«
» Nein.«
»Hast du ihn erschossen?«
» Nein.«
»Dann warst du ja kein besonders erfolgreicher Polizist, was, Hokke? Und immer hast du vor dich hin gepfiffen. Die Dealer haben dich schon aus zwei Straßen Entfernung kommen hören. «
Hokke schüttelt den Kopf. »Wenn ich sie schnappen wollte, habe ich nicht gepfiffen.«
Ich zeige Nico ein Foto von Samira. Er erkennt sie nicht.
»Die meisten Menschenhändler bleiben unter sich. Mädchen aus China werden von Chinesen geschmuggelt; Russen schmuggeln Russinnen.« Er breitet die Arme aus. »Und die Afghanen bleiben zu Hause und pflanzen Mohn an.«
Nico sagt irgendetwas auf Holländisch zu Hokke.
»Warum wollen Sie dieses Mädchen finden?«
»Ich glaube, sie weiß etwas über ein Baby.«
»Ein Baby?«
»Ich habe eine Freundin. Ich hatte eine Freundin«, verbessere ich mich, »die eine Schwangerschaft vorgetäuscht hat. Ich glaube, sie hatte irgendein Arrangement getroffen, in Amsterdam an ein Baby zu kommen. Meine Freundin wurde ermordet. Sie hat dieses Foto hinterlassen.«
Hokke stopft wieder seine Pfeife. »Glauben Sie, dass dieses Baby geschmuggelt worden sein könnte?«
»Ja.«
Er erstarrt mitten in der Bewegung, sodass das Streichholz seinen Finger verbrennt. Ich habe ihn überrascht – einen Mann, der dachte, nach dreißig Jahren an diesem Ort
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