Todeskette
nie erfahren.«
Sie verließen den Wald und gingen zurück zum Herrenhaus, das sie, missgünstig beäugt von Mrs. Grandy, durch die Hintertür betraten. Bereits in der Halle hörten sie, dass es in der unteren Bibliothek hoch herging. Drinnen hatte man den großen Tisch in der Mitte des Raums mittels eines grünen Filztuchs in einen Roulettetisch verwandelt, an dem Lavinia offenbar als Croupier fungierte. Um den Tisch herum saßen Crystal, Marshal und Warner, die alle ihre Jetons vor sich liegen hatten. Warner Chance hatte den größten Haufen, gefolgt von Main und Crystal, die nur ein paar Jetons ihr Eigen nannte.
Tweed, der zwischen Paula und Marler stand, interessierte sich nicht dafür, was die Einzelnen gewonnen oder verloren hatten. Seit Langem wusste er, dass man beim Roulette einzig und allein die Gesichter der Spieler betrachten durfte, wenn man wissen wollte, was in ihnen vorging.
Nachdem die drei ein paar Runden mit relativ geringen Einsätzen gespielt hatten, setzte Crystal auf einmal alles, was sie noch hatte, auf Schwarz. Als dann die Kugel in einem roten Fach zu liegen kam, rief sie enttäuscht: »Blödes Spiel!«, und stand auf.
»Natürlich ist es blöd«, erwiderte Lavinia. »Und wenn Banker es spielen, ganz besonders. Eigentlich müsstet ihr alle drei wissen, dass man mit Geld nicht herumzockt.«
»Jetzt spiel doch nicht schon wieder den Moralapostel!«, sagte Warner Chance. »Wir wissen, was du vom Glücksspiel hältst.«
»Trotzdem werde ich es immer wieder sagen, bis ihr mit dem Unfug endlich aufhört.«
»Was verstehst denn du vom Roulette?«, bellte Main. »Du bist doch eine blutige Amateurin. Und nicht nur dabei.«
»Alles auf Rot«, sagte er und schob alle seine Jetons auf das Tableau. Kurz bevor Lavinia das Rad im Kessel drehte, nahm Warner Chance seine Jetons mit beiden Händen und türmte sie auf dem Feld daneben auf. »Alles auf Schwarz!«
Lavinia drehte das Rad, und die Kugel rollte eine kleine Ewigkeit lang im Kessel herum, bevor sie laut klackernd erst in ein rotes Fach hüpfte, dann aber noch einmal heraussprang, um schließlich in einem schwarzen zur Ruhe zu kommen.
Mit dem Croupier-Rechen schob Lavinia Marshals Haufen hinüber auf das Feld, auf dem sich Warners Jetons türmten.
»Ich brauche dringend frische Luft«, rief Main, und als Lavinia daraufhin ein Fenster öffnete, stürzte er auf den Spieltisch zu, riss den Roulettekessel hoch und warf ihn in hohem Bogen hinaus, wo er auf den Steinfliesen der Terrasse zerbarst.
»Drecksspiel!«, schrie Main und stürmte wutschnaubend aus der Bibliothek.
Warner Chance blieb auf seinem Platz sitzen und verzog keine Miene. Auch während des Spiels hatte er keinerlei Reaktion gezeigt, aber nun blickte er auf zu Paula, sah ihr direkt in die Augen und sagte mit einem seltsamen Lächeln – dem ersten, das Paula überhaupt an ihm sah: »Der Gewinner bekommt nun mal alles.«
21
»Wir fahren nach Seacove in Cornwall«, sagte Tweed am nächsten Morgen zu Paula, als diese aus ihrem Zimmer kam und hinunter zum Frühstück gehen wollte.
»Musste ich deshalb schon um halb acht aufstehen?«, fragte sie erstaunt. »Was wollen wir denn da?«
»Gestern Abend, als Marshal Main sich wieder beruhigt hatte, habe ich noch auf einen Brandy mit ihm zusammengesessen«, erklärte Tweed. »Da hat er mich und Sie wieder auf seine Jacht eingeladen. Und die liegt nun mal in Seacove.«
»Und wieso haben Sie die Einladung angenommen?«
»Weil ich gern sehen möchte, wie Marshal Main außerhalb von Hengistbury Manor ist. Die Atmosphäre in diesem Haus wird ja von Tag zu Tag geladener.«
»Ich denke, ich nehme mir am besten etwas Warmes zum Anziehen mit«, sagte Paula, als sie sah, dass Tweed sich einen dicken Mantel über den Arm gelegt hatte.
»Das würde ich Ihnen empfehlen. Wir sehen uns dann beim Frühstück.«
Als die beiden nach dem Frühstück in den Audi stiegen, fragte Paula: »Macht es Ihnen etwas aus, wenn ich fahre?«
»Das wollte ich Ihnen eben vorschlagen …«
Sie fuhren um das Haus herum und sahen, dass Marshal Mains Rolls-Royce vor der Terrasse wartete. Snape hielt eine der hinteren Türen auf.
Paula hielt hinter dem Wagen an. Als Marshal Main sie sah, sprang er aus dem Rolls und rannte wutschnaubend auf sie zu. »Was glauben Sie eigentlich, weshalb Snape die Tür aufhält?«
»Keine Ahnung.«
»Weil ich gedacht habe, Sie fahren mit mir. Ist Ihnen denn ein Rolls-Royce nicht komfortabel genug? Und wieso fahren Sie im Audi und
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