Todeskind: Thriller (German Edition)
liebt es, durch die Luft zu fliegen.«
»Dann sprich mit ihm über Pferde oder Simones Riesenweihnachtsbaum, aber rede mit ihm.«
Und das tat sie, doch sie sprach über das Frauenzentrum, das Paige und sie aufbauten und für das sie die ganzen Wohltätigkeitsabende veranstalteten. Zunächst hörte er nur mit halbem Ohr zu und dachte dabei daran, welche Farben sie auf diesen Festen getragen hatte und wie sehr sie damit in dem Meer aus »kleinen Schwarzen« aufgefallen war. Das pralle Leben.
Und dann fiel ihm wieder ein, wie er sie stundenlang beobachtet und sich vorgestellt hatte, wie er ihr diese herrlich farbenfrohen Kleider vom Leib schälen und was er alles mit ihr anstellen würde, wenn sie nur mit ihm nach Hause käme. In sein Bett käme. Wenn sie ihm gehörte.
Sie könnte ihm gehören. Mir. Es hörte sich gut an.
Und dann begriff er endlich, dass sie gar nicht mit Ford sprach. Sie spricht mit mir. Sie erzählte ihm, wie viel Angst die Frauen hatten, was die Behandlung mit dem Körper, mit der Seele machte, und wie entsetzlich es für sie war, die Haare zu verlieren, ihre Rundungen, ihre Weiblichkeit. Wie schlimm es war, befürchten zu müssen, dass die Kinder mutterlos aufwachsen mussten, und letztlich wie hart es war, sich um kleine Kinder zu kümmern, wenn man sich kaum noch um sich selbst kümmern konnte. Joseph erkannte, dass sie ihm ihre eigenen Erlebnisse erzählte, damit er all die Dinge, die er wissen musste, besser verstehen konnte. Falls sie sich entscheidet, mir zu gehören.
»Ich hatte Glück, Ford«, murmelte sie. »Ich hatte Mama und Maggie. Ich wusste immer, dass sie sich um dich kümmern würden, wenn mir etwas zustoßen sollte. Viele haben kein solches Glück, und ich habe immer gesagt, dass ich eines Tages etwas dagegen tun würde. Und dann hatte Paige die Idee, die Karateschule aufzubauen und dort den Frauen in Hollys Zentrum Selbstverteidigungskurse anzubieten. Paige konnte sich dadurch von einer lähmenden Angst befreien und wieder voll am Leben teilhaben. Ich kannte sie auch, diese lähmende Angst. Lange, lange Zeit habe ich immer nur den Atem angehalten und darauf gewartet, dass der Arzt mir eine schlechte Nachricht überbringen würde, aber er tat es nicht, und auch beim nächsten Mal nicht, und schließlich waren Jahre vergangen, und ich wusste, dass nun die Zeit gekommen war, das zu tun, was ich mir vorgenommen hatte.« Sie seufzte. »Wenn ich am Ende meines Lebens ankomme, möchte ich zurücksehen und mir sicher sein können, dass meine Anwesenheit auf diesem Planeten das eine oder andere besser gemacht hat.«
Und in diesem Augenblick wusste er es. Ich will sie für mich. Und niemand sollte es wagen, ihm in die Quere zu kommen. Oder versuchen, sie mir wegzunehmen. Sie ist diejenige, die nur für mich auf dieser Welt ist.
»Ich denke, du hast schon einiges besser gemacht«, sagte er leise.
»Aber nicht so viel, wie ich könnte«, erwiderte sie. »Wir hatten einen guten Start. In einem halben Jahr steht die Einrichtung für zwanzig alleinerziehende Frauen mit ihren Kindern. Nicht alle Frauen werden durchkommen, aber ich bin mir sicher, dass sie ihren Kindern ein paar sehr schöne Erinnerungen hinterlassen.«
»Du kannst wirklich stolz auf dich sein, Daphne«, sagte Joseph ernst, dann beugte er sich zu ihr und küsste sie. Sie schmeckte wunderbar.
»Mom?«
Sie lösten sich abrupt voneinander wie ertappte Teenager. Ford bemühte sich, die Augen zu öffnen, und bäumte sich desorientiert und verängstigt auf. Joseph beugte sich hastig über Daphne und drückte den Jungen vorsichtig nach unten, damit er sich nicht die Nadel vom Tropf aus dem Arm riss. Dann betätigte er den Rufknopf.
»Ford.« Daphne legte ihm die Hände an die Wangen. »Ich bin’s, Mom. Mach die Augen auf.«
Die Lider flatterten, dann blickten die grünen Augen verwirrt von einem zum anderen. »Mom?«
»Ich bin hier, Schätzchen. Bei dir.«
»Wo sind wir?« Das Krächzen war kaum zu verstehen.
»Im Krankenhaus«, antwortete sie. »In West Virginia.«
Er blickte suchend in ihr Gesicht. »Füße?«
»Sind okay, nichts passiert. Mit deinen Händen auch nicht.«
»Kim?«
»War sie nicht bei dir?«
Er schüttelte den Kopf.
Daphne verzog gepeinigt das Gesicht. »Wir suchen sie noch.«
Das Schluchzen blieb in Fords Kehle stecken. Daphne beugte sich vor, bis ihre Stirn an seiner ruhte. »Schon okay, mein Liebling. Wein ruhig.«
Eine Krankenschwester stürmte herein, blieb aber stehen, als sie sah, dass
Weitere Kostenlose Bücher